Denkwuerdigkeiten - Aus Meinem Leben
wiederholen: war mir’s vergönnt gewesen, ein Doppeltriumph für mich, eine späte Genugtuung für all die bit – –
Ja, für was eigentlich? Daß ich selber nie einen Krimi geschrieben habe, trotz heftigen Zurats? 1977, an der französischen Riviera, war es immerhin so weit, daß ich, geleitet durch real sich zutragende urlaubsalltägliche Nervzertrümmerungen, beinahe angefangen hätte. Allein, vier Jahre später war es dann noch weiter: Es erschien, angezeigt in Heyne-Verlagskatalogen und dann noch jahrelang in Bibliographien u.ä., ein Roman von mir und Bernd Eilert, ein Krimi des Titels »Die Wurzel des Übels« – der allerdings den Vorzug hatte, daß er halt nie geschrieben worden war, nicht eine einzige Zeile! Sondern ausschließlich – nicht unverwandt dem Ex-»Musikzirkel« – ein irgendeiner Verlagsverworrenheit sich schuldendes Gerücht war.
So geht’s doch auch.
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»Würckliche Liebe darf ein Poet nicht empfinden« (Goethe, 1766 an Cornelia).
Doch.
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August 1960. Von meiner ersten Paris-Reise – es waren dann insgesamt wohl nur vier – habe ich inzwischen fast alles vergessen, nur eins noch präzis im Gedächtnis, gesehen schon am zweiten Tag meines Aufenthalts an einem zentralen Zeitungskiosk: Der Titel bzw. die Schlagzeile einer Boulevardzeitung, gedruckt in ca. 4,5 Zentimeter hohen Lettern:
»François Mauriac: O Sartre, pourquoi êtes-vous si triste?«
Mauriac war ein damals hochgeschätzter sogenannter katholischer Existentialist – der mehr gottlose Existentialist (später erst Sozialist und Marxist) Sartre hackte damals vermutlich alles andere als trist auf irgendeiner der ihm im schon unverständlichen Übermaß ergebenen Kulturschnallen herum. Zu jener Zeit wurde in Deutschland gelegentlich gleichwie neidvoll beklagt, daß in Frankreich die Hochkultur keineswegs wie bei uns auf S. 2 oder 7 »unterm Strich« stattfinde; sondern im Leitartikel und Aufmacher auf S. 1. Oder eben gar schon im Boulevardblatt. Und doch will mir von heute aus die etwas spätere (1963) »Bild«-Headline zur wundersamen Errettung bei der Bergschachtkatastrophe von Lengede – »Gott hat mitgebohrt!« – vergleichsweise intelligenter, weniger trist und sogar noch über Mauriac hinaus ziemlich katholisch vorkommen.
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Albert Camus dagegen war mir von ca. 1959 bis 1962, also über seinen Unfalltod am 4. Januar 1960 hinaus, eine Art Kopf- oder auch Gefühlshausheiliger und verschwand dann mehr oder weniger, so geht’s zu auf der Welt, restlos aus diesem meinem Kopf und auch Gemüt.
Manche Autoren und Romane immerhin halten sich seit gutding fünfzig Jahren erstaunlich konstant in der Wertschätzung und Zuneigung, darunter einige, mit deren Bestand der langsam literaturkundige und -süchtige Jüngling niemals gerechnet hätte. So von Theodor Fontane vornehmlich »Irrungen, Wirrungen« – eine Lesegegenprobe mit 69 Jahren bestätigt es, obschon die dort waltende Poesie und Poetik aus Plapperei und Plattheiten heute nicht mal mehr unbedingt meine Überzeugung und Sache sind. Romanliche Bekundungen wie »Die trivialsten Sätze sind immer die wahrsten« kommen mir doch etwas fontane-lehrbuchhaft-akademisch vor und ggf. geeignet, sogar vom ungeziemlich penetranten Fontanejahr-Feierer Roman Herzog verstanden zu werden. Ist es also vielleicht doch mehr die zwischen allen Zonen von Ernst, Ausgelassenheit, Klugheit, Unvernunft und Innigkeit schwebende sehr wunderbare Heldin Lene Nimptsch? Die nur einen Fehler als Unstern hat – am Ende des Buchs wird er sogar leis ironisch thematisiert –: daß ihr geliebter Baron zu allem noch »Botho« heißt.
Lene hat »etwas beinahe Herbes in ihrem Charakter« (11. Kapitel), bei aller »Gefühlsweichheit« (ebd.). Das macht uns Lesern auch nach hundertzwanzig Jahren noch zu schaffen. Wie ihre auch bei uns Zuhörern wehmutpressenden Abschiedsworte (15. Kap.) an – welch schöne Wortwahl! – »meinen Einzigen«.
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Manche Erinnerungen werden erst einmal mündlich vorgetragen, finden aber, der »Entwirklichung der Erinnerung« (Aleida Assmann) psychokinetisch entgegenzuwirken, ausnahmsweise ein waches Ohr und gehen von diesem aus viel später ihrerseits in eine gedruckte Version ein; hier in Jürgen Roths Buchs »Die Poesie des Biers«; die Sache trug sich zu anläßlich meiner zweiten Paris-Reise im Juli 1961, mit 19; diesmal per Autostop:
Vor vielen Jahren war der Dichter Henscheid mit einem Freund während einer Anhalterreise zwischen Rastatt
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