Denkwuerdigkeiten - Aus Meinem Leben
verfestigten Ahnungswissen, daß eh niemand aufpaßt und ordentlich die Zeitung liest – diese Manier pflegte oder pflog ein paarmal auch ich, kaum vermochte ich die Schreibmaschinentasten halbwegs ordentlich zu treffen, als Jüngstjournalist im Heimatblättchen. Einmal nach meiner Erinnerung eben bei einem programmgeänderten Liederabendauflauf – sodann, noch riskanter, fast heroisch, anläßlich eines russischen Ballettabends, den ich, versehen immerhin mit dem Programmheft und aus ihm verworfen flotte Sprüche beziehend, von daheim aus kraftvoll hochlobte und mit Wissen wie »Pas de deux« und »Pirouette fragile« (!) und »avantgardistische Choreographie« so lang um mich warf, bis eben zwei Schreibmaschinenseiten voll waren. Und ich dann wieder zum gemütlichen häuslichen Beisammensein mit Albert Camus oder auch Agatha Christie zurückkehren konnte.
Noch heller strahlten, ausgelassener funkelten meine Raketen anläßlich des schon gewürdigten Theatergastspiels eines vergessenen und auch vergessenswerten Dramas von Georg Kaiser (»Gas« war es nicht); das ich deshalb lieber – so was verstand man damals als »Provokation«, und es war auch eine, wenn auch noch kaum eine des später sog. bürgerlichen Kulturbetriebs – von der Gastwirtschaft aus rezensiert habe. Und zwar, wie mitgeteilt, nach Programmzettel von hinten her. Und als wir, mein Berater-Freund Meiller und ich, plötzlich beim kulturkritisch kichernden Schreibseln einen Kracher aus Richtung Bühne hörten, stand auch schon die Überschrift der Besprechung: »Pyrotechnische Glanzlichter im Stadttheater«.
Unbeanstandet ging es bei der Redaktion und dann auch beim Publikum durch und in Ordnung. Mir, dem Autor, schwante wohl damals schon und erstmals die ganze Wahrheit des leitprogrammatischen Max-Frisch-Worts: »Eigentlich geht überhaupt alles in Ordnung«; so vermuten seine etwa zu dieser Zeit erschienenen Tagebücher; und ich hielt das Wort als Motto meines zweiten Trilogieromans in Acht und Ehren.
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Dagegen gehörte ich dem berühmten 1. Authentic-Jazz-Circle Amberg (ajca) von ca. 1957ff. als Klassikvertreter nur lose assoziiert als häufiger Gast an. Aber schon anläßlich des ersten Besuchsabends im »Pigalle« vernahm ich aus dem durchsetzungsstarken Mund des Gründers und sog. eisgrauen Jazz-Opas Franz Hellebrand die Weisung als Rundruf und Leitwort:
»Halt’s enga Fotzn, êitz kommt a Bluhs!«
Merke: Enga = eure; Fotzn = Maul; êitz = jetzt; Bluhs = Blues.
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Sowohl das wesentlich fiktionale Treiben des Musikzirkels als auch jene Form mehr avantgardistischer Theater- und Konzertkritik: Es handelte sich da, wie gesagt, um nicht unerhebliche Etappen auf meinem Weg zum nachmaligen Satiriker und Humoristen. Gut zehn Jahre später, in Frankfurt 1969f., kam noch eine gewisse Lügen- bzw. Gerüchtemach- bzw. Intrigentechnik dazu: Insgesamt eine boshaft harmlose Freude an nutzlosem Lug und Trug (Oliver Maria Schmitt in seiner Geschichte der Neuen Frankfurter Schule, 2001, S. 187, geht auch kurz darauf ein) – in einem meiner ehesten Texte unter den bleibenden, den Geschichten »Über die Wibblinger« (1967/68), ist einmal die Rede von »halt spielfreudigen kleinen Wesen, die die Auswirkungen ihrer Arbeit wegen ihres kleinen Geistes nicht so voll überschauen«.
Keine schlechte Charakteristik meines damaligen Tuns und Lassens.
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Es mochte zwar das im Sommer 1967 mit einer Magisterarbeit über die »Wandlungen des Humanen in der Dichtung Gottfried Kellers« erledigte germanistische Universitätsstudium auch schon manche behutsame Nähe zum bald darauf dominanten Humoristischen, Satirischen, Komischen angedeutet haben, wie es dann ab Sommer 1969 mit meinem Dienstantritt in Frankfurt beim Satirejournal »pardon« sozusagen sanktioniert und für die nächsten Lebensabschnitte beherrschend wurde: eben mit einer sich langsam vordrängelnden Liebe für Dichterprototypen wie (mit Einschränkungen) Keller, Raabe, Fontane. Aber prägender, ragender waren in dieser Münchner Universitätszeit 1960ff. eigentlich noch Hölderlin, Brentano, auch Goethe.
Ja, es dankte sich wohl in einem gewissen, gar nicht unbeträchtlichen Maße auch dem Zufall, daß aus kleinen, wenn auch beachtlichen Anfängen wie den »Schwedengeschichten« (1967) und eben den »Wibblingern« der alsbald schon großmächtig humoristisch auftrumpfende Romantrilogie-Autor wurde – anders als bei den entelechisch komischen Lyrikern Gernhardt und Bernstein war das aber
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