Denkwuerdigkeiten - Aus Meinem Leben
entsinnen, wie er da vor Wut fast berstend (wie später der betagte Teppichhändler bei seinen Kämpfen mit Alfred Leobold) seinen eignen Schlohbart in einen Baumstamm verklemmte.
Ab 1961 kam es in München und später in Regensburg auch immer wieder zu freudigen, später auch professionellen Berührungen mit der Gattung Bauerntheater, in seiner seinerzeit noch häufig gemütvollen, ziemlich originalbäuerlichen und daher sehr auskömmlichen Form; mit Urerlebnissen wie dem, daß der inzwischen 75jährige Chef Maier Hias in damals sogenannter Dreiecks-Badehose eiskalt den Nebenbuhler-Lover bringt. Und seine Lebensgefährtin, die Altbäuerin, an einer auf der Bühne aufgebahrten Leiche herausstemmt: »Wie, laß mir ihn anschau’n, damit i nacha sag’n kann, i hob ihn als Toter aa noch g’sehn!«
Schwach, aber nicht ganz unhörbar könnte das Echo gewesen sein, das Mozarts drei italienische und stark komisch strukturierte Meisteropern bei mir und meinem werdenden Gefühl für Ironie und Humor hinterließen: Wenn etwa Don Ottavio drei Stunden lang durchs gesamte Dramma giocoso hindurch Rache schwört, ohne sich je im geringsten zu ihr zu bequemen, dann fiel mir da nachweislich schon ab 1960 etwas auf und ein Groschen, meist übers Medium der Salzburger Verfilmung von 1953/54 mit den grandios singenden und spielenden Siepi, Edelmann, Dermota usw.
Fast gleichzeitig stellte sich aber auch große Begeisterung für Helmut Qualtingers 1960/61 in München gebotenen und auch bereits als LP studierbaren »Herrn Karl« ein; ich konnte ihn damals so gut wie auswendig und derart die Schallplatte quasi verdoppeln. Karl Valentin? Der spielte zu dieser Zeit in Bayern und darüber hinaus schon eine großmächtige, leider oft falsche, unsinnig folkloristische Rolle – bei mir beides nur in Maßen und aber jedenfalls keine ganz und gar maßstabsetzende. Dafür gab es bei mir, immer als Leser, seltener als Theaterbesucher, manche halben und ganzen Irrwege von Beckett bis Dürrenmatt; beides immerhin durchaus auch komische und die aktuelle Komik mitprägende Schriftsteller. Daß Beckett komisch sein kann, erahnte ich, über den herrschenden Bedeutungshuberzeitgeist hinaus, aber schon durchaus. Weniger im ersten Anlauf, daß auch der Scheintragiker und angebliche Problematiker und Apokalyptiker Dostojewski vielmehr ein großhumoristisches Paradigma ist; und bei Kafka dauerte die Einsicht noch viel länger – ich las den damals überaus schulmäßig als weißgottwas Grundernstes.
Die Weichenstellung zum Komischen und zum komischen Autor war auch nach dem nachsichtheischenden Jugendroman »Im Kreis« (1968) nur eine langsame, verzögerte, immer noch mehr zufällige. Eher schon Vorentscheidendes geschah dann mit den »Schwedengeschichten« von 1969: Ihr Quell war, um es hier noch einmal bekanntzugeben, der durchaus hochinspirierte Sermon eines Freundes im Bayerischen Hof in Amberg; jenes, der viel später in zwei Romanen für den Kerzenhändler Lattern die Modellfigur abgab. Und der seine bierhochgeschaukelten Eingebungen über den alten Tuck (meint: Tilly?) und den General Wrschn (meint: Wrangel?) seinerseits aus mehr oder weniger reakionärrevanchistischen Monatsjournalen wie der »Oberpfälzischen Hochebene« aufsaugte. Und dann durchaus veredelt wieder von sich gab. Mit meiner verzögerten Amtsübernahme des »Dichterberufs« (Hölderlin) ca. 1968/69 und dann vor allem mit dem ersten op. 1-haften Roman von 1973 wuchs auch vermutbar die Bewußtheit für diesen Beruf – und seine/meine spezielle Ausrichtung, wie sie meinem Talent, meinen Prägungen, vielleicht meiner genetischen Zurüstung entsprach. Staatsdichterisches, Menschheitsmissionarisches, Gesellschaftspolitisches oder gar -revolutionierendes: Derlei und die zugehörigen Posen und Attitüden – soviel läßt sich von heute aus sagen und ließ sich wohl um 1970ff. schon – waren mir so gut wie ab ovo fern und fremd. Weder nahm der fünfjährige Kindergartenstar seine Krippenspielrolle als Gottvater oder jedenfalls Oberhirt allzu ernst und weihevoll, noch etwa ließ sich der 15- oder 18jährige zu lyrischen Artefakten im Rilke- oder gar Benn-Stil hinreißen. War er auch viel zu unbegabt dazu, ja wirklich blockiert; auch als Leser: Selbst einfach gestrickte Spätkindheitsromane von Karl May bis zum »Lederstrumpf« machten ihm Mühe, er kapierte, wie erwähnt, sie einfach nicht so ganz, hatte (obwohl gleichzeitig in der Mathematik, Geometrie usw. zeitweise eine Kanone)
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