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Denkwuerdigkeiten - Aus Meinem Leben

Denkwuerdigkeiten - Aus Meinem Leben

Titel: Denkwuerdigkeiten - Aus Meinem Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eckhard Henscheid
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größtanzunehmende Unfallrisiko von überbordender, ja ausufernder Menschenverachtung? Gar dem anheimzufallen, was mir nicht selten als ein im Gewand quittengelben Neids auftretender »menschenverachtender Zynismus« zugebilligt wurde?
    Eine Frage gebiert immer unweigerlich die nächsten. Würde ich alles heute wieder genau so machen und halten? Die Kämpfe und Großkampfjahre genau so zäh und stetig und erbittert und unerbitterlich bestreiten wollen? Im gesellschaftspolitisch verantwortungsvollen Zornmut und unfriedlichen Ernst oder aus doch mehr schierer Gewohnheit weiter zuschlagen, daß die Fetzen fliegen?
    Meine Kräfte, merke ich gerade, reichten dazu nicht mehr aus, nicht einmal dazu, all die Fragen zu beantworten. Dies immerhin gebe ich Dir, Leser, und sogar mir selber zu bedenken: Es gibt eine medizinerseits m.W. unangefochtene und recht volkstümliche Lehre vom Schmerzausgleich. Der nämliche Begriff, etwas anders gewendet, könnte, so scheint und schien mir immer, für eine Theorie und Strategie von Satire, von Kritik, von Literatur insgesamt geradestehen: Erlittenen öffentlichen Schmerz, den Tort, die Zumutungen, die Imbezillitäten des Lebens wie des Alltags pariert der Schriftsteller stellvertretend für seine Leser per Gegenschmerz, den er seinen und deren Widersachern zuteil werden läßt. Das derart entstehende Glück heischt wiederum Glücksausgleich: also sagen wir – unverdiente oder meinetwegen auch verdiente – Schläge und Nasenstüber durch die schrulligen Habermase und läppischen Pohlens. Nur so ist die fraglos beste aller Welten auch wirklich und wahrhaftig – –
    Nein, noch nicht? Ich verspreche, ich werde heute abend nach der »Tagesschau« noch inständiger darüber nachgrübeln. Und ggf. die leserseits weiterverwendbaren Resultate mitteilen. Und vorerst immerhin dies, daß ich meine ehemalige Großeinsatzfrequenz – früher im Schnitt einmal pro Jahr – zuletzt ganz augenscheinlich gekürzt habe. Und weiter zu kürzen gedenke.
    Zumal »der in der Historie dilettierende Agitator« (Andreas Hillgruber, 1987) J. Habermas mir in der Satire- und Literatur- und Mitscherlich-Geschichte nunmehr ein halt recht unwürdiger Streitpartner scheint. Und überhaupt wohl mehr als tunlich doch stark abbaut.
    *
    Theodor W. Adorno verstarb am 6. August 1969; ich selber hatte beim Erwachsenwerden etwas verspätet, aber dann sehr lange als Leser und meist als Verehrender mit ihm zu tun; in einer kleinen Erinnerungsserie der FAZ , die, von Unseld über Alfred Schmidt und Mosebach bis zu mir, zum 25. Todestag 1994 diverse Artikelchen zusammentrug, brachte ich als immerhin mittelbare Erinnerung folgendes zu Papier:
    »Meine einzige leibhaftige Tangierung des Lebewesens Adorno war leider keine ganz eigene. Sondern die meiner Frau mit dem Ehepaar Adorno – die meiner Ehefrau. Und als Anekdote verkleidet habe ich diese rare Begegnung auch schon in eine nicht ganz serieuse Text-Kollektion aufgenommen – hier aber nochmals also deren Rückübersetzung in den Seria-Klartext; das Wort hat Regina Henscheid, seinerzeit noch Angenend:
    ›An der Universität Frankfurt hörte ich, eine etwas ängstliche und zugleich hochnäsige Neu-Studentin, in den Jahren 1962/63 wohl zum erstenmal von Herrn Adorno. Da müsse man hingehen, hieß es, der Mann habe viel zu sagen. Die einzige Vorlesung, die ich daraufhin von ihm besuchte, handelte – ausgerechnet und soweit ich es verstand – vom Fernsehen. Daß ein Professor sich zu solch einem Thema herbeiließ, mußte ich von Herzen verachten; und also sah ich ihn nur noch einmal wieder; ganz nah:
    Ich stand an der Bockenheimer Warte an einem Zebrastreifen – ich könnte die Stelle heute noch bezeichnen – und wartete auf Grün. Links neben mir wartete in einer Reihe ein kleiner älterer Herr – mit Schrecken erkannte ich in ihm den Professor Adorno (ob er gemerkt hatte, daß ich ihn mied?), eine ebenfalls ältere Frau mit kurzen grauen Haaren in seiner Begleitung; und ganz außen, für den Professor fast verdeckt, eine hübsche langhaarige Blondine. Da plötzlich hob der Professor den Stock oder Regenschirm, den er bei sich führte, und schob seine Gattin (denn das war sie, wie ich später erklärt bekam) sanft, aber energisch etwas zurück, eindeutig, damit er die schöne Person besser sehen könnte. Die Gattin ließ es, zweifellos wissend, geschehen – es waren eben andere Zeiten.‹
    Soweit Regina A.; ich aber ahne, daß Adorno noch am gleichen

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