Denkwuerdigkeiten - Aus Meinem Leben
ausnahmslos ausnehmend gut gefiel.
»Das Alphorn hat mir’s angetan«; singt zu Straßburg auf der Schanz im Knaben Wunderhorn ein Deserteur, deshalb der Hinrichtung gewärtig; das Alphorn als Inbild, als klanggewordenes Urbild der Schweiz mit dieser fatalen Folge: »Da ging mein Trauern an«, nämlich mit dem Fehlen des Alphorns, »das klag ich an.«
So weit würde ich im Verbund mit meiner Mitbewohnerin nicht ganz gehen, aber das Instrument spielt noch heute und sogar im gemütsmäßig etwas verdrückten, ja verarmten Graubünden-Arosa eine nicht unbeträchtliche Rolle – vielleicht gar, um weiterer Verarmung und Verwahrlosung entgegenzuwirken und darwiderzublasen. Auch wir hören das immer gerne im Freiluftkonzert oder auf der nahen Übungswiese – sein Biederes, Treuherziges, fast Treudeutsches. Das Alphorn tritt ideell in dieser Gegend immerhin noch einmal auf und zutage: in den Schweizer Handwerkern. Die an Biederkeit, Zuverlässigkeit, reeller Gesinnung und fast idealischer Gesittung dem Alphorn nahe sind und –
Kurz, da ist nichts anzuklagen.
Es sind die Schweizer laut Thomas Mann, der freilich nicht viel anders war, ein »Hoteliersvolk«; laut Aussage einiger Eingeborener sind vornehmlich die Arosaner oder auch Aroserer schiere und schreckliche und abartige und matterhorneherne Krachschädel als Geldsäcke, die außer ihrem Kontostand auf der Bank nichts, keinen Berg- und keinen einzigen Blumennamen kennen.
Es läßt sich allerdings doch auch manch Gutes über diese Schweiz und ihre Aroserer sagen, jene, denen ich seit 1.9.1993 gewissermaßen amtlich mitangehöre, mit dem Ziel, meine Meinung über sie präziser zu fassen. Gutes über ihre wahrscheinlich ja kapitalismus- und systemgestützte Zuverlässigkeit, Ordentlichkeit jenseits der vielbespöttelten Cleanness. Gutes über die hohe Zurechnungsfähigkeit von den Bahnbeamten über die schon belobigten Handwerker bis hin zu ihren Stiften. Gutes sogar über ihre Bankschalter und -automaten, wenn schon nicht übers dahinterstehende Management – genug der Wort’ der Vorrede; zu den sieben allerschönsten Erinnerungen der Jahre 1993 bis 2011 in Arosa zählen unverrückbar:
1. Eine gerettete Kuh, hängend im Hubschrauber, die sich im Berghang verstiegen hatte
2. Ein Reiter auf seinem Pferd, die beidesamt in 2500 Meter Höhe zur hohen Mittagsstunde den Strel-Alteinpaß Richtung Davos überschreiten
3. Ein erster Edelweißfund gleich drauf und gleich daneben in 2600 Meter Höhe auf dem Schießhorngipfel
4. Die nur wenige Gramm wiegenden Haubenmeisen, die sich im Winter pfeilgrad auf die ausgestreckte Hand setzen, um, obwohl sehr schüchtern, das angebotene Futter mit winzig pickenden Schnäbeln und viel Anmut aufzunehmen
5. Zwei Sechsjährige wackeln im Herbst von der Schule heim. Was sie gelernt hätten? Einer, sehr laut: »Das i und das a!«
6. In der milden Spätnachmittagssonne inmitten der Scheidegg-Mulde fällt eine Klosterschwester in schwarzer Tracht aus Unvorsichtigkeit um und in die Blumenwiese – und muß über diesen stark spitzweghaften Vorgang aber laut selber lachen; ehe ihr von einer Kollegin wieder aufgeholfen wird
7. Der Spitzenreiter, kaum noch zu schlagen: Fünf schwarze Katzen schreiten im Gänsemarsch durch den Tiefschnee dem Bauern nach, auf die Almhütte der Langlaufwiese zu, jeweils 85 Zentimeter voneinander entfernt. Eine – Epiphanie.
*
»Das Edelmütige, der Schnee« (Hölderlin) ward mir ab 1993 mit der Teilbeheimatung in Graubünden noch näher. Erst 1995 sah ich dort aber auch den amerikanischen Spielfilm im deutschen Fernsehen, er muß Ende der Siebziger gedreht worden sein, er heißt »Lawinenexpreß« und er enthält die gewaltigste und unedelste Lügengaunereienansammlung, die mir im Film wie im Leben je untergekommen ist, nämlich 13 Lügen, und zwar faustdick strotzende, vor allem zum Kulminationspunkt und Finale hin.
Es geht um irgendeine Spionageaffaire zwischen München, Zürich und Mailand – und bei der Gelegenheit bewegt sich der Gotthard-Expreß im Winter unter sehr erschwerten Bedingungen von Italien kommend bergan auf den alten Gotthard-Tunnel zu. Was jedoch kaum recht und rechtzeitig gelingen dürfte, denn
1. Ein Mann steht jetzt mit Skiern auf dem Matterhorngipfel
2. Er fährt um Mitternacht los, den 4478 Meter hohen Berg hinunter
3. Mit Hilfe nämlich des Mondscheins
4. Und startend unter einer Art Kieferngruppe
5. Ungefähr auf Höhe 4000 Meter löst er damit eine Lawine
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