Denkwuerdigkeiten - Aus Meinem Leben
durfte?); an der grundsätzlichen Modalität und Artung des wenn auch ausgebliebenen Trauerns aber hatte ich noch kaum wägende zögerliche Zweifel; wie schwer das vermißte kollektiv auch immer herzustellen sein möchte.
Erst wieder zwanzig Jahre später entnahm ich der Ilias weiterführendes Material, nämlich eine altgriechische Trauergestaltung: die tage- ja wochenlange Trauer Achills um seinen von Hektor getöteten Busenfreund Patroklos. Trauer zuerst in Form von wüst um sich schlagender Rache an allem Trojanischen, was herumstand – sodann aber in der Gestalt einer Leichenfeier als leichtathletischer Fünfkampf (Speerwurf, Kurzstreckenlauf, Langstreckenlauf usw.).
Ob die beiden Frankfurter Autoren und Psychoanalytiker wohl diese Art von Trauerfähigkeit gebilligt hätten? Notfalls?
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In jener Romanintermezzo-Passage der »Vollidioten« (1973), die sich erfolgreich bei Helmut Schön für die Verwendung Bernd Hölzenbeins im Sturm der Nationalmannschaft zur Weltmeisterschaft 1974 einsetzt, heißt es als »Zwischenbilanz«:
»Drittens aber bin ich der festen Überzeugung, daß Geld und Liebe, also die führenden Themen meiner Niederschrift, nach wie vor und durchaus auch die führenden Themen unserer Zeit und der Nation sind (…) Geld und Liebe sind die Säulen unseres Lebens. Das dritte aber ist der Fußball, ja er hat möglicherweise sogar die Liebe schon überholt.«
Sehr selten widerfährt einem Schriftsteller und Romancier das hohe Glück, mit einem Roman, noch dazu von 1973, in das Editorial des »kicker«-Fußballmagazins vom Sommer 1999 einzugehen: »Geld und Liebe«, werden ich und mein Roman vollkommen korrekt zitiert, »sind die Säulen unseres Lebens. Das dritte aber ist der Fußball – ja, er hat möglicherweise sogar die Liebe schon überholt« – offenbar das Leitwort für die anstehende neue Saison.
Was im Roman ursprünglich das Gefasel eines hier schon leicht weggetretenen Zeitgenossen bzw. seines Chronisten am Schreibtisch war, findet sich endlich schon ein paar Tage später wiederum – zitiert nun nicht nach Roman, sondern nach »kicker« – als »Wort des Tages« auf S. 1. der »Bild«-Zeitung: »Geld und Liebe sind die Säulen unseres Lebens. Das dritte aber ist der Fußball – ja, er hat möglicherweise sogar die Liebe schon überholt.«
Weiter kann man es heute als Autor schwerlich bringen, annähernd einen neuen Begriff von Tradierung und Kontinuität (Beckenbauer würde, er kann nicht anders, »Kontuität« sagen) begründend. Dabei war ich damals antithetischerweise dem Fußball schon ziemlich abgeneigt und gleichzeitig zu einer neuen Wertschätzung von Liebe gelangt, befördert, ja beschwingt durch die Wiederbegegnung mit einem Adorno-Satz aus den »Minima Moralia«:
»Liebe ist die Fähigkeit, Ähnliches an Unähnlichem wahrzunehmen.«
Man sieht: »Wir alle sind Flausen« (Montaigne), dieser Adorno-Satz aber schon ganz besonders. Daß jedoch mit meiner Verwendung für Hölzenbein (nicht allein im Roman, sondern auch in einem FAZ -Artikel und mit einem Leserbrief 1974 an den »kicker«) letztlich über des Frankfurters Schwalbe im Endspiel gegen Holland der WM -Titel gesichert wurde, das wurde oft genug (und auch vorne im Buch schon) gesagt; es hat sich bloß bis zum DFB noch immer nicht herumgesprochen. Der nämlich ist komplett ahistorisch.
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»Die wonnige Gegend des unbeschreiblich schönen Lauterbrunnentals« (Richard Wagner) lernte ich auf der Flucht, nämlich am Tag der Machtergreifung Helmut Kohls am 1. Oktober 1982, kennen und verfehlte nicht, sie zusammen mit meiner Frau noch wiederholt aufzusuchen, Scheidegg und Eigertunnel und Jungfraugipfel inklusive. Weil aber speziell in diesem unbeschreiblichen und deshalb vielbeschriebenen Lauterbrunnental schon gar zu viele romantische Natur- und Urbilder von Goethe über Joseph Anton Koch und Ludwig Richter bis zu William Pars wie Zitate ins immerwährend darauf gefaßte Auge springen und man sich aber im Leben nicht gar so kunstmuseal fühlen und einrichten sollte, deshalb wandten wir uns und sahen 1989 und vor allem ab 1993 energischer einer anderen, mehr östlichen Region ins Antlitz, einer, die ich schon als Fünfjähriger vom Kreuzworträtsel der Mutter (s. vorne) her bestens kannte, nämlich als Graubündner Kurort mit fünf Buchstaben – keine ganz schlechte Wahl, wie sich sodann achtzehn Jahre lang zeigen sollte; indem es uns dort nämlich als in einer festen Winter- und Sommerferienstation fast
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