Denn bittersüß ist der Schnee - Lene Beckers dritter Fall (Lene Becker ermittelt) (German Edition)
daraus erwachsenden Fragestellungen lauerte trotzdem in ihren Köpfen. Als sie ihr Bier bekamen, tranken sie erst einmal einen kräftigen Schluck.
»Und ich mag die großen Gläser hier«, sagte Mike, während er sich den Schaum vom Mund wischte. Dann nahm er ihre Hand, die auf dem Tisch lag, in seine.
»Was denkst du? Und was hast du bei den Nachbarn erfahren?«
Sie erzählte von ihrem Besuch beim alten Herrn Keller. Und dem Zigarettenmann, dessen Stummel leider unter einer Schneedecke ve rschwunden war.
»Was machen wir nur mit der Benachrichtigung von Sven? Am T elefon ist das unmöglich. Herr Keller meinte, die Tochter käme sehr selten zu ihrer Mutter. Ich denke, ich muss mit ihr persönlich sprechen. Was hältst du davon, wenn wir morgen nach Bamberg fahren? Fahrzeit ist nur etwa eine knappe Stunde. Namen und Adresse bekommen wir morgen über das Melderegister in Bamberg heraus.«
Mike stimmte ihr zu. »Das scheint mir eine gute Idee. Sie muss doch mehr über ihre Mutter wissen. Vielleicht hatten sie ja doch tel efonisch häufig Kontakt und die Tochter nur keine Zeit um nach Nürnberg zu fahren.«
»Weißt du, so ein Mord in einer solchen Wohnung an einer solchen Frau ist schon seltsam. Alles wirkt so fern von jeder Gewalt. Na, w enigstens haben wir hier gleich den Namen und das persönliche Umfeld. Das ist schon ein Riesenvorsprung gegenüber einer anonymen Leiche, die irgendwo im Wald gefunden wird. So eine hatten wir Ende Oktober. Das war wirklich nervenaufreibend. Stundenlang im Regen im Wald. Alles war aufgeweicht und die Leiche schon von Tieren angefressen. Grässlich. Aber wir haben den Fall trotzdem gelöst.«
»Und, wer war es?«
»Ein uns bekannter Sexualstraftäter. Er hatte die Frau – sie war fünfundfünfzig – im Wald überfallen und nachdem er sie vergewaltigt hatte, erdrosselt. Dabei hat er einen speziellen Knoten in ihre Strumpfhose gemacht, den wir schon von einem früheren Prozess gegen ihn kannten. Das und der DNA-Vergleich - so konnten wir es ziemlich schnell nachweisen. Er sitzt jetzt in Untersuchungshaft.«
Plötzlich brach sie ab und errötete etwas.
»So was Blödes, ich sitze hier mit meinem Liebsten, der sich von seinen Morden erholen will und erzähle von meinen. Ich bin schon ein feinfühliger Urlaubspartner.«
Mike winkte ab. »Es ist eben unsere Arbeit, und wir werden uns sicher immer wieder auch davon erzählen, weil sie zu unserem g emeinsamen Leben und Denken gehört. Aber jetzt, wo ich dich so ansehe … Deine Augen habe ich am meisten vermisst. Sie sind so unglaublich hellblau. Und denke ja nicht, dass ich nicht gemerkt habe, dass du eine neue Haarfarbe hast! Ich mag dich zwar in blond, aber das Rötliche steht dir sehr, sehr gut. Die Farbe macht neugierig.«
Lene strich sich ihre Haarsträhne in der für sie typischen Verl egenheits- und Nachdenkgeste hinter das Ohr. In dem Moment kam ihr Essen. Bei dem verzückten Blick Mikes auf sein Schnitzel aus Vienna musste sie lachen. Wie schaffen wir das immer nur aus jeder Schwere so schnell in unsere Leichtigkeit zu kommen?
Sie waren gerade bei den letzten Bissen, als ihr Handy klingelte. Es war ein ziemlich aufgeregter Kalle, der sie bat, doch noch einmal zum Tatort zu kommen.
»Hier ist ein Mann, nach dem Ausweis ein Kanadier, der Melanie Merthens suchte. Er war mit ihr verabredet gewesen und als sie nicht kam, ist er zu ihrer Wohnung gefahren.«
»Halt ihn fest. Ich komme.«
Sie aßen trotzdem noch auf. Jetzt kam es auf die fünf Minuten nicht an.
Draußen fiel wieder Schnee, wenn auch nicht mehr so dicht und dickfl ockig. Sie hatten die letzten Minuten ständig gerätselt, wer der Mann wohl war. Ein Kanadier? Lene sah in Gedanken noch den Brief vom Lonely Lake vor sich und fragte sich, ob das der dazugehörende einsam durch die Wälder streifende Wolf war. Lag dieser Lonely Lake in Kanada?
Die Kriminaltechniker waren immer noch bei der Arbeit. Lene hatte für Kalle noch etwas zu essen mitbringen wo llen, die Küche hatte jetzt jedoch endgültig scho zu. Von der gutherzigen Kellnerin bekam sie aber dann doch noch eine Frikadelle – a Fleischküchla - mit Kartoffelsalat und hoffte damit ihren Kollegen und Freund vor dem Hungertod zu bewahren. Dieser kam ihr im Flur entgegen. Sie drückte ihm das Abendessen in die Hand.
»Komm, geh nach Hause, Kalle. Morgen um acht Uhr dreißig ist Bespr echung. Du warst jetzt lang genug hier. Sieh zu, dass du noch genug Schlaf bekommst. Das wird anstrengend morgen.
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