Denn bittersüß ist der Schnee - Lene Beckers dritter Fall (Lene Becker ermittelt) (German Edition)
verstanden hatte, bestätigend nickte.
»Also, einmal, da konnte ich hören, dass er irgendetwas von Geld schrie. Aber mehr konnte ich nicht verstehen. Danach Geschrei und wieder das G etrampel, das sich schrecklich anhörte. Ich weiß nicht, was er da immer macht.«
Lene verabschiedete sich, dankbar für diese Information, der sie unbedingt nachgehen wollte. Mistkerl. Falls es wir klich um Gewalt ging.
Sie rief Kalle an und erzählte ihm, was sie herausgefu nden hatte.
»Kannst du einmal die gängigen Hotels in Bamberg checken? Vielleicht ist sie in einem hier abgestiegen. Nur – w arum ist sie nicht zu ihrer Mutter?«
»Vielleicht war sie ja bei ihr. Dann käme auch sie als …«
»Täterin in Frage«, vollendete Lene seinen Satz. »Wir müssen sie finden, Kalle. Wenn du in den Hotels nicht fündig wirst, ruf mich noch einmal an. Der Typ von Ehemann wird mir immer unsympathischer. Ich hasse Gewalt in der Ehe.«
»Wenn er wirklich gewalttätig ist, rufe ich erst einmal die Kliniken an. Vielleicht war sie verletzt und brauchte einen Arzt.«
»Mach das, Kalle. Ich würde dann gleich hinfahren, falls du etwas findest. Und – naheliegend wäre wohl in diesem Fall auch das Frauenhaus. Gibt es sicher auch in Bamberg. Suchst du mir die Telefonnummer und die Adresse raus? Bitte das als erstes. Dann kann ich noch dorthin fahren, falls sie dort sein sollte. «
»Mach ich. Bis dann. «
Als sie ihr Handy zuschob, wurde ihr bewusst, dass die Unruhe und Nervosität, die sie gefühlt hatte, plötzlich von ihr abfloss. Das Gespräch mit Kalle hatte sie wieder geerdet, ihr bewusst gemacht, wie wichtig es war zu funktionieren. Sie sah ihn vor sich, wie er zum Telefonhörer griff, gleichzeitig die Bitten um Unterstützung an die anwesenden Kollegen in seiner ruhigen und zugleich keinen Widerspruch duldenden Stimme weitergab. Er war ein wirklich guter Kommissar, er hätte längst befördert werden müssen. Aber ihr graute vor diesem Tag – und sie hatte den Verdacht, ihm auch, obwohl sie nie darüber sprachen. Sie waren ein so eingeschworenes Team, und mehr als das, Freunde, die sich jeden Tag in ihrem gemeinsamen Zimmer im Polizeipräsidium gegenübersaßen, zusammen zum Essen gingen, jeden Aspekt zu den anstehenden Fällen austauschten, dabei noch einmal alles an Fakten beleuchteten, was sie über den jeweiligen Fall herausgefunden hatten. Für ihn galt der Satz, den ein älterer Kollege einmal am Anfang ihrer Arbeit als Kommissarin gesagt hatte. »Letztlich verbringen wir mehr Zeit mit unserem Partner hier als mit unseren Ehehälften.« Damals hatte sie noch gelacht, aber als ihre Ehe dann zerbrach, hatte sie oft daran denken müssen. Johannes, den sie Jo nannte und alle anderen Hannes . Sie war so von ihrer Arbeit gefesselt gewesen, so darin abgetaucht, dass sie, wenn sie endlich todmüde zu Hause ankam, sich nur noch um die Kinder gekümmert hatte. Ihn als selbstverständlich genommen hatte, ihn, mit dem sie alt hatte werden wollen. Aber sie hatte vergessen, dass sie dafür auch an jedem Tag mit ihm hätte leben müssen, sie hatte einfach nicht gemerkt, dass er ihr immer mehr entglitt. Bis er eine Freundin hatte und die Dinge nicht mehr umkehrbar waren. Noch immer staunte sie ab und zu über dieses Zerbrechen ihrer Ehe, die für sie so unauflöslich gewesen war, so elementar. Aber auch nachher war sie nie zornig auf ihn. Sie sah ihren eigenen Anteil an der Entwicklung. So waren sie Freunde, Vertraute geblieben.
Dann war da noch eine große, unerfüllte Liebe gewesen. Daran hatte sie lange gekrankt. Seitdem war sie vor jeder wirklichen Beziehung zurückg ezuckt. Auf kurze, heftige Begegnungen konnte sie sich einlassen. Aber letztlich hielt sie sich fest, lebte lieber allein. Bis Mike gekommen war.
Ihr Blick glitt über sein Gesicht, das sich ihr gerade so voller Wärme z ugewandt hatte und sie wusste, ihm ging es genauso. Inzwischen kannte sie jede Furche seines Gesichts, jede neu hinzugekommene Falte, die sie dann versucht war, wieder glatt zu streichen, die Zeit aufhalten wollend. Mike. Sein Geruch, den sie liebte, der für sie unverwechselbar war, das leuchtende Tiefblau seiner Augen, der feine Schwung seiner fast schmalen Lippen. Die Beuge seines Halses. Ihre Hände liebten sein kräftiges, dunkles Haar, die Kraft seines Körpers.
Er sagte etwas und sie kam zurück aus ihren Gedanken in den Augenblick. Fragend sah sie ihn an.
»Wo warst du denn mit deinen Gedanken?«, fragte er leicht irritiert.
»Bei dir.
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