Denn bittersüß ist der Schnee - Lene Beckers dritter Fall (Lene Becker ermittelt) (German Edition)
konnte er mit der Theorie nicht übe rzeugen.
Sie schafften es sogar in achtzehn Minuten. Als sie an der unauffä lligen Tür des Mehrfamilienhauses klingelten, wurden sie erst über die Sprechanlage befragt, bevor man ihnen öffnete. Eine braunhaarige Frau in Jeans und Pulli öffnete ihnen kurze Zeit später und ließ sich erst einmal von Lene den Polizeiausweis zeigen.
»Wir können eben nicht vorsichtig genug sein! Wenn Sie das Elend manchmal miterleben würden …«
Sie sah Mike Fuller bedauernd an, dann wieder Lene.
»Bitte haben Sie Verständnis, dass ich Ihren Kollegen nicht herei nlassen kann. Wir vermeiden es, Männer hier zu haben. Viele Frauen sind so traumatisiert, dass sie lange brauchen, um den Anblick von Männern in ihrem direkten Umfeld wieder zu ertragen.«
Lene übersetzte und Mike nickte verständnisvoll. »Ich warte im Wagen.«
Die Frau, die sich mit Wagner vorgestellt hatte, bat, als sie an der Küche vorbeikamen, um Kaffee für den Besuch und führte Lene in ein Büro. Pflanzen am Fenster, zusammen mit einem kleinen Tannenbaum mit Minilichterkette und einer Kerze auf dem Tisch in der Sitzecke ließen einen unauffälligen Schreibtisch fast vergessen. Der Raum strahlte Geborgenheit aus.
Frau Wagner bat Lene sich zu setzen und nahm ihr gegenüber Platz. Ein gutes Gesicht, befand Lene, vertrauenerweckend und ene rgisch. Wie alt mochte sie sein? Mitte bis Ende fünfzig?
»Wir suchen Frederike Walther und ihre Töchter Andrea und I nga. Wir müssen Frau Walther dringend sprechen. Ihre Mutter ist gestern verstorben.«
»Wie schrecklich! Und das gerade jetzt. Ja, sie ist hier. Sie kam ge stern sehr verstört bei uns an. Mit den beiden Mädchen. Ihr Mann hatte brutal auf sie eingeprügelt und sie getreten. Da sie nicht nur am Körper, sondern auch im Gesicht Hämatome hatte, konnte sie heute auch nicht in die Schule. Sie war noch nicht einmal in der Lage dort anzurufen. Sie steht noch immer unter seelischem Schock. Aber dann muss ich sie wohl rufen lassen.«
Frau Wagner sah sehr betroffen aus und es fiel ihr sichtlich schwer, der Frau, die bei ihr Zuflucht gesucht hatte, noch zusätzlich so eine schmerzliche Botschaft zu übe rbringen.
»Ich mache das schon vorsichtig«, beruhigte sie Lene. »Sie können auch dabei bleiben, falls sie sie braucht.«
Als die Tür aufging, erschrak Lene dennoch bei dem Anblick der Frau, die doch erst Mitte vierzig war. Zutiefst erschrockene Augen, ratlose Augen, die nicht einmal mehr Neugier empfanden oder Interesse. Die Partie um ein Auge war blau angeschwollen, die Lippe aufgeplatzt und verschorft. Sie sah erbarmungswürdig aus. Was für ein Scheißkerl! Und spielte ihnen noch unverfroren so ein Theater vor.
»Frau Walther? Entschuldigen Sie, dass ich Sie hier aufsuche, aber es ist wichtig. Möchten Sie sich nicht erst ei nmal setzen?«
Rike Walther nickte und setzte sich auf einen der Sessel, jetzt wachsam. »Wer sind Sie?«
»Entschuldigen Sie, dass ich mich erst jetzt vorstelle. Becker, Kripo Nürnberg. Es tut mir so leid, aber ich habe eine schlechte Nachricht für Sie.«
Ein angstvolles Auff lackern in dem Blick ihres Gegenübers.
»Ist etwas mit Uwe?«
»Nein, es geht nicht um Ihren Mann, sondern um Ihre Mutter. Sie ist tot. «
»Mutter? Wieso denn? Sie war doch gesund. Ein Unfall?« Trot zdem wirkte das Gesicht leblos, als ob die Botschaft gar nicht richtig angekommen war. Oder war es ihr gleichgültig?
»Nein, sie ist ermordet worden.«
Stille.
Dann ein tiefes Luftholen. Ein Anlauf, bevor es mit unsicherer Stimme kam.
»War er es?«
»Wen meinen Sie? Uwe, Ihren Mann? «
Sie nickte, senkte den Kopf.
»Warum glauben Sie das? Hatte er ein Motiv? «
Jetzt sah sie auf. Lene direkt an.
»Deshalb hatten wir ja den Streit. Wegen des Geldes.«
»Welches Geld? «
»Svens Geld. Er wird doch jetzt achtzehn, am 16. Dezember. Und da b ekommt er das Geld.«
»Welches Geld? Ist es eine Erbschaft?«
»So etwas Ähnliches. Mein Bruder Wolf, Svens Vater, ist in Indonesien beim Bau einer Brücke verunglückt. Seine Firma hatte ihn hoch versichert, ich weiß nicht wie hoch. Aber es muss ziemlich viel Geld sein, das Sven jetzt bekommt. Und mein Mann Uwe wollte, dass ich zu meiner Mutter gehe und einen Teilanspruch anmelde. Als Schwester von Wolf. Ich fand das absurd, aber er wollte mich zwingen. Und als ich nicht wollte, schlug er mich. Er hat immer noch zugetreten, als ich schon am Boden lag. Ein solcher Hass … Es war schrecklich.«
»Aber wieso kam
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