Denn bittersüß ist der Schnee - Lene Beckers dritter Fall (Lene Becker ermittelt) (German Edition)
gehüllte Stadt hereingebrochen. Tiefdunkel und träge floss die Regnitz zwischen den engen, förmlich ans Ufer geklebten Häusern, deren Dächer jetzt schneeweiß strahlten gegen die Dunkelheit, die Fenster wie in einer Märchenkulisse beleuchtet. Das Wasser klatschte leise, schwarz und glänzend in kleinen vom Licht erzeugten Silberwellen an die Hausmauern.
Weltkulturerbe - Stadt Bamberg . Mike zeigte sich gebührend beeindruckt.
»Meinst du, es ist nicht ziemlich feucht in den Häusern?«, fragte er und sprach damit den Gedanken aus, den Lene auch schon manches Mal trotz des Pittoresken, das auch sie verzauberte, gehabt hatte. Sie knuffte ihn in die Rippen. »Amerikaner! Immer praktisch!«, neckte sie ihn.
Der Gedanke an Rike Walther ließ ihr jedoch keine Ruhe. Nach einem nochmaligen Versuch auf einem der beiden Handys jemanden zu erreichen, fuhren sie noch einmal zum Haus der Walthers. Lene klingelte, aber niemand öffnete. Also später. Sie war wütend über die sinnlose Warterei. Was dachte der Kerl sich eigentlich? Und wo war die Tochter mit ihren Töchtern?
Jetzt waren sie schon am Stadtrand Bambergs, da konnte sie mit Mike wä hrend der Wartezeit auch gleich essen gehen – in Viereth, hatte sie sich vorgenommen. Die Gaststätte Mainlust mit eigener Brauerei, zu der die ganze Umgebung Bambergs wegen des guten Essens und der niedrigen Preise pilgerte, musste er einfach erlebt haben.
Sie fanden auch gleich einen Platz. Wieder ein schlichtes Lokal voller Gemü tlichkeit. Rohe Holztische, Holzbänke entlang der Wände. Mike fragte sie mit einem Blick nach oben nach der Herstellung der Decken. Sie sahen grob verputzt aus, weil sie aus Gips gegen Draht- und Strohgeflecht geschlagen worden waren. Das gefiel ihm besonders, ebenso wie die mit der Axt behauenen Balken dazwischen. Der Tresen war neu verkleidet, der junge Sohn des Hauses, inzwischen selbst Braumeister in der dritten oder vierten Generation, schenkte aus, seine Schwester servierte. Das selbstgebraute Bier schmeckte wunderbar, betonte Mike, der immer noch nicht mit dem Rauchbier aus dem Schlenkerla – Spezialität hin oder her - versöhnt war. Das Essen war einfach herzhaft gut. Mike hatte auf ihre Empfehlung hin eine Rindsroulade mit Kloß und Salat bestellt und sie einen kräftigen Sauerbraten. Sie genossen die Ursprünglichkeit des Lokals und vor allem ihr Zusammensein. Mike sprach über seine Eindrücke, über den Zauber, den die Stadt für ihn hatte, den Schnee. Und vor allem über seine Freude hier zu sein.
» I feel at home in your country , Lene. Because of you – and because I feel at home everywhere with you .«
Er konnte seine Gefühle so federleicht ausdrücken und war dabei zutiefst ehrlich. Sie griff nach seiner Hand, fuhr mit ihrem Zeigefinger an seinen Fingern entlang, konnte nicht genug von dieser Nähe zw ischen ihnen kriegen. Dann kamen sie auf den Fall zurück. Lene nahm noch einmal den Gedichtband aus ihrer Tasche.
»Hör nur, ich finde das wundervoll. Wie aus einer ganz anderen Zeit.« Und sie las und übersetzte:
Der Wald im Schweigen der Nacht
Hat den Gedanken gebracht - von dir
Am Himmel der goldhelle Stern
Ist unerreichbar fern – wie du.
Das Wasser des Flusses rauscht
Mir eine Melodie – nur du
Und ringsherum die Einsamkeit
Bringt mir so großes Herzeleid – um dich.
So hocke ich auf dem gestürzten Baum,
bin ich erwacht – ist es ein Traum – Du?
»Wie einsam er gewesen sein muss. Und so jung, so verletzbar und eins in seiner Liebe. Einfache Hingabe klingt aus seinen Gedichten. Und jetzt kommt er nach all den Jahren zurück, findet seine Liebe wieder – und sie wird ermordet. Kannst du dir vorstellen, dass er der Täter war? Dass dieser Mann, der einmal solche Gedichte geschrieben hat, aus welchem Grund auch immer, jetzt morden kann? Zuschlagen?«
Mike sah sie skeptisch und traurig zugleich an. Sein Gesicht wirkte plötzlich unendlich müde, die Falten um A ugen und Mund traten deutlich hervor. Dies Gesicht spiegelte die tiefe Hoffnungslosigkeit eines Menschen wider, der zu viel gesehen hatte, mit zu absurden Abgründen der menschlichen Verhaltensweisen konfrontiert gewesen war, der den Glauben an seine Urteilskraft verloren hatte. Plötzlich tat es ihr leid, die Frage gestellt zu haben. Er hatte so viel mehr an Schrecklichem zu verarbeiten als sie. Nürnberg mochte so groß wie San Francisco sein, aber in der Kriminalität lagen Welten dazwischen.
»Ich weiß«, sagte sie nur leise.
Wieder rief
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