Denn bittersüß ist der Schnee - Lene Beckers dritter Fall (Lene Becker ermittelt) (German Edition)
angekommen. Es war grässlich, die ganze Vorfreude gestört durch das lange Warten. Wir waren erst um kurz vor zwei Uhr nachts hier. Die Autobahnen waren noch nicht einmal geräumt, geschweige denn die Landstraßen. Netterweise hatte Theres, die Wirtin, uns Brote hingestellt und Tee gemacht, sodass die Kinder noch etwas zu essen und zu trinken bekamen. Ein schreckliches Chaos. Was ist das nur für ein unseliger Stern über dieser Klassenfahrt. «
In einer anderen Situation hätte Lene den Begriff unseliger Stern denn doch in Frage gestellt, aber hier und in diesem Augenblick dachte sie nur daran, dass Sven dadurch nicht einmal ein Alibi für die Tatzeit hatte. Zumindest müsste durch Befragen der Klassenkameraden erst eins bestätigt werden. Da er aber jetzt selbst Opfer war, schien die Überprüfung momentan eher zweitrangig.
Zwanzig Minuten später betraten sie das Krankenhaus in Zell am See, das, seitdem Lene vor Jahren einmal mit einer geprellten Nase vom Tiefschne efahren hier gewesen war, doch sehr erweitert worden war. Lichte, moderne Flure, viele Pflanzen. In der Mitte ein großer, in Rot geschmückter Tannenbaum mit glänzenden roten Kugeln und kleinen Elektrolichtern.
Sie fragten nach Sven Merthens. Er lag noch auf der Intensivstat ion, die durch eine Milchglastür abgeschlossen war. Eine Schwester öffnete ihnen auf ihr Klingeln und schüttelte dann den Kopf. Nein, sie konnten noch nicht zu dem Jungen. Sie würde dem Arzt Bescheid sagen.
Ein schlanker, smart wirkender Mittdreißiger kam ihnen entgegen. Dr. Holler stand auf seinem Namensschild. Ein Skidoktor für Bein- und Armbr üche? Als er hörte, wer sie waren, überlegte er kurz, ob er ihnen überhaupt etwas sagen sollte. Lene trat mit ihm zur Seite und berichtete ihm, warum sie hier waren. Als sie ihm noch sagte, dass bei Svens jetzt einzigen Verwandten, seiner Schwester und ihrem Mann, momentan nicht an ein Kommen zu denken sei, wurde er aufgeschlossener. Er drückte sein Bedauern für den Jungen sehr glaubhaft aus und als er dann mit großem Ernst ihnen seinen Zustand schilderte, nahm Lene ihr vorschnelles Urteil zurück.
»Er hat eine starke Gehirnprellung. Daneben eine Platzwunde am Kopf. Jetzt ist er noch im Tiefschlaf. Sie können ihn also nicht spr echen. Wir müssen bis morgen Nachmittag abwarten. Erst dann werden wir sehen, ob wir die Schwellung stoppen konnten. Sie wissen sicher, wie gefährlich so ein Schädeltrauma ist. Wenn er transportfähig ist, wollen wir ihn nach Innsbruck verlegen. Die sind da besser ausgerüstet als wir. «
Lene war betroffen. Was war hier vorgegangen? Konnte das wir klich ein rein zufälliges Zusammentreffen sein, der Mord an der Großmutter und der wie es schien schwere Unfall des Enkels, vierhundert Kilometer entfernt? Sie konnte Sven unmöglich hier lassen, bevor sie nicht wusste, was hinter diesen beiden Ereignissen stand. Außerdem musste sie zurück. Sie entschied, dass sie versuchen würde Sven nach Nürnberg verlegen zu lassen.
»Sie haben doch eine Reiseunfallversicherung für die Schüler?«, fragte sie Frau Gellner. Und als die bejahte, fra gte sie den Arzt, ob Sven eventuell, falls er morgen transportfähig wäre, gleich nach Nürnberg transportiert werden könne, das heißt genauer nach Erlangen in die Universitätskopfklinik. Er nickte verständnisvoll. »Nur – wir müssen abwarten. Vor morgen Mittag auf keinen Fall. Erst dann wissen wir, ob wir so einen Transport schon wagen können.«
»Ich muss ihn sofort sprechen, wenn er wach wird, Herr Dr. Holler. W enigstens kurz. Ich hoffe, er weiß irgendetwas, was uns weiter bringt. Jetzt auch noch, ob er eine Vermutung hat, wer ihn da auf der Piste geschnitten hat. Inzwischen werde ich die anderen Schüler befragen. Und mich mit der Polizei in Hinterglemm in Verbindung setzen.«
Sie sah auf die große Krankenhausuhr an der gegenüberliegenden Wand. Schon kurz vor fünf. Sie brauchte jema nden, der während der Nacht auf Sven aufpasste. Jetzt noch einen Ortspolizisten aus Zell am See einzuweihen und dazu zu bringen, hier die ganze Nacht vor der Tür eine Wache zu postieren– das würde wohl extrem schwierig werden. Ihr Blick fiel auf Frau Gellner.
»Ob es wohl eine Nacht ginge, dass nur einer von Ihnen sich um die restl iche Klasse kümmert? Wir brauchen hier jemanden, der auf Sven aufpasst. Wären Sie dazu bereit?«
Sie zögerte, wenn auch nur kurz.
»Sie meinen, jemand könnte es noch einmal versuchen, Sven zu - « Sie brachte das Wort nicht
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