Denn bittersüß ist der Schnee - Lene Beckers dritter Fall (Lene Becker ermittelt) (German Edition)
Schüler einzeln vo rnehmen.«
Ein Blick zur Klassenlehrerin.
»Wie viele Schüler sind es insgesamt?«
»Mit Sven siebenundzwanzig.«
Sie entfernte sich während des Gesprächs wieder vom Auto.
»Also muss ich sechsundzwanzig vernehmen. Ich weiß noch nicht, ob das möglich ist. Man wird sehen. Zu blöd, dass Mike nicht Deutsch spricht. Ich könnte ihn dabei gut gebrauchen. Ruf du jetzt erst einmal den ADAC an w egen der Rückholung per Flugzeug. Und sag mir dann Bescheid. Ab morgen vierzehn Uhr denke ich – hoffe ich«, verbesserte sie sich. »Und kümmere dich um eine Klinik, am besten ist sicher die Unikopfklinik in Erlangen. Es ist ja sonst niemand da, der für ihn verantwortlich ist, außer du willst dich an Uwe Walther wenden. Ich würde das nicht so gern.«
»Nö, das mache ich schon lieber selbst. Bei Uwe Walther fällt mir ein, soll ich Rike Walther anrufen wegen Svens Unfall oder willst du das? «
Lene überlegte, sah das zerschundene Gesicht voller Blutergüsse vor sich und hätte sie gern geschont. Aber das ging nicht.
»Ja, ruf sie an. Wir können hier keine Rücksicht nehmen, sie ist die einzige Verwandte. Aber sag ihr, wir melden uns, wenn Sven in Nürnberg, bezi ehungsweise Erlangen ist. Und dass wir uns um alles kümmern. Ach ja, und berichte du Kuhn von der Geschichte.«
Ihr Chef würde begeistert sein. Gut, dass sie nicht dort war. Diese Art Verwicklungen mochte er gar nicht.
»Immer ich«, maulte Kalle, aber man hörte den Humor heraus. »Und was sagt eigentlich die örtliche Polizei? Haben die den Unfall schon aufgenommen?«
Mist. Lene lief in der Dunkelheit rot an. Sie hätte dort gleich hi nfahren müssen. Wie konnte ihr das passieren! Hatte sie wegen Mikes Anwesenheit doch etwas Gehirn eingebüßt? Aber wann hätte sie sich darum auch kümmern können?
»Weiß ich noch nicht. Es war hier alles so hektisch. Ich fahre gleich an der Polizeistation Saalbach-Hinterglemm vorbei. Höre mich da mal um. Ach, und berufe ein Meeting für morgen Nachmittag um fünf ein. Wenn ich noch u nterwegs bin – ich weiß ja nicht, wie das mit Sven wird – müssen wir halt auf übermorgen vertagen. Dann aber bitte früh. Lass du dir schon mal Bericht geben. Ich hoffe, ich bin pünktlich da. Hat sich bei euch heute etwas getan? Nein? Gut, dann bis Morgen, Kalle.«
Anschließend rief sie Mike an und bat ihn um Geduld. Es würde dauern, bis sie die Jugendlichen alle befragt ha tte.
Seine Stimme rief Sehnsucht in ihr hervor, Ungeduld, dass sie ihn so nahe hatte und doch so viel von ihrer wenigen gemeinsamen Zeit abschneiden mus ste.
»Lene, nimm mich mit zu den Kids. Ich kann dir vielleicht doch helfen. Wenn ich etwas nachsehen muss oder so. Und außerdem kann ich bei denen sein, die nicht dran sind und aufpassen, dass sie sich nicht absprechen. «
Das fand sie auch eine gute Idee. Getröstet fuhr sie jetzt durch die Dunkelheit. Im Tal leuchteten an den Hängen die Fenster der Häuser und Hütten im Schnee gegen den nachtblauen Himmel, ein Anblick, der sie immer verzauberte. Wie im Märchenland. Weihnachtsgefühle pur und sie musste sich mit so einer Geschichte rumschlagen. Scheiß Beruf , gönnte sie sich diesen Ausbruch. Das musste sein. Erst als ihre Beifahrerin erschrocken zu ihr herübersah, begriff sie, dass sie ihren Kommentar laut gegeben hatte und zudem aufs Lenkrad geschlagen hatte.
»Sicher geht es Ihnen manchmal auch so, Frau Gellner. Dass Sie sich genau in diesem Augenblick einmal um sich selbst kümmern müssten, in ihrem Priva tleben. Und gerade dann geht beruflich alles drunter und drüber. Die Schülerinnen und Schüler sind heute sicher auch nicht immer einfach.«
Frau Gellner nickte.
»Und ob ich das kenne! Und genau das. Besonders deutlich wird es, wenn man einmal nicht so gut drauf ist, sich ein bisschen schwächer fühlt und nach Rücksichtnahme sehnt. Das wittern die Schüler, Jungen genauso wie Mädchen, sofort. Und dann drehen sie erst richtig auf – sind laut, undiszipliniert, geben herausfordernde Antworten. Stress pur. Und wenn man dann völlig erledigt aus der Stunde kommt, weiß man, dass man jetzt ganz schnell zu sich zurückfinden muss, sonst geht es in der nächsten Stunde genauso weiter. Dann kann so ein Vormittag Höllencharakter haben!«
Jetzt lächelten beide und Lene fühlte sich erleichtert. Kann schon mal gut sein, etwas auszusprechen und auf Verständnis zu stoßen, dachte sie.
Sie passierten Saalbach im Weihnachtslichterrausch. Lene hielt vor der
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