Denn bittersüß ist der Schnee - Lene Beckers dritter Fall (Lene Becker ermittelt) (German Edition)
sie hätte um sechzehn Uhr in Nürnberg sein können. Der Flieger landete um kurz nach elf in München. Und damit Zeit genug. Zufrieden? «
Und ob. Ihr Herz schlug heftig. Adrenalin pur. Sie mahnte sich zum A bwarten. Man würde sehen.
Kurz vor vier hielt es sie nicht länger. Sie ließ einen äußerst zufri edenen Mike in der Wohnung zurück und fuhr, diesmal allein, es schien ihr im Hinblick auf Sven besser so, hinauf zum Lindlinghof. Als sie ankam, sah sie schon, dass die Jugendlichen bereits zurück waren. Sie standen in Gruppen vor dem Haus, eine größere am Seiteneingang, wohl heimlich rauchend.
Lene parkte und stieg aus. Kalt war es. Sie war versucht, ihre Hä nde in den Taschen zu vergraben. Mist, sie hatte die Handschuhe in der Wohnung vergessen. Sie ging hinüber zur Eingangstür, die in diesem Augenblick aufging. Eine Frau kam heraus, die seltsam durcheinander, aufgeregt wirkte. Ein Mann kam hinter ihr her.
»Warte doch. Soll ich nicht lieber doch mitfahren?«
»Nein, ich fahre allein. Einer muss doch bei den Schülern bleiben, damit nicht noch etwas passiert. Es geht schon. Sorge dafür, dass sie rechtzeitig etwas zu essen bekommen. Ich weiß nicht, wann ich wiederkomme.«
Lene trat ihr in den Weg.
»Entschuldigen Sie, ich suche Frau Gellner. Können Sie mir helfen?«
Ablehnende, rot geweinte Augen. Was war hier los?
»Das bin ich. Aber ich habe jetzt keine Zeit. Wenden Sie sich an meinen Kollegen, Herrn Kaufmann. Ich muss …«
Lene unterbrach sie.
»Es tut mir leid, wenn ich Sie jetzt störe. Mein Name ist Becker, Kriminalpolizei Nürnberg. Ich muss mit Sven Merthens sprechen. Und mit Ihnen.«
»Sven? Aber wieso – das geht nicht.«
Sie sah Lene verwirrt an. Etwas jünger als sie, ein müdes und zugleich aufgewühltes Gesicht, das von braunen Augen beherrscht wurde, da Mütze und Schal gerade noch eine ebenfalls gerötete Nase und einen schmalen Mund freiließen, der sich jetzt zusammengepresst hatte. Vielleicht hatte sie gar nicht geweint, sondern war erkältet, fasste Lene für sich zusammen. Frau Gellner riss sich sichtlich zusammen.
»Wieso Kripo«, fragte sie dann.
»Das kann ich nicht hier zwischen Tür und Angel besprechen. Können wir nicht reingehen und Sven suchen?«
»Sven? Nein.« Wieder eine fahrige Geste. Dann kurz und knapp. »Sven ist im Krankenhaus.«
Das konnte doch nicht wahr sein!
»Wieso im Krankenhaus?«
»Er ist heute Morgen von einem Snowboardfahrer gerammt worden und musste ins Krankenhaus gebracht werden.«
»Und? Wie geht es ihm? Wie schwer ist er verletzt?«
Frau Gellner holte tief Luft.
»Er ist in ein Koma versetzt worden. Man weiß noch nichts. Er hat Kop fverletzungen. Eventuell muss er noch ins Krankenhaus nach Salzburg oder Innsbruck verlegt werden. «
Lene musste das erst einmal verdauen. Der arme Junge! Zudem war es geradezu unwahrscheinlich, dass erst die Großmutter ermordet wird und jetzt der Enkel einen U nfall hatte.
»Wie ist es passiert? Warten Sie, wollen Sie gerade zu ihm ins Kranke nhaus fahren? Dann komme ich mit. «
Frau Gellner nickte fast apathisch. Sie wirkte noch wie unter den Nachwirkungen des Schreckens und des Entse tzens.
»Ich fahre«, bestimmte Lene und dirigierte sie zu ihrem Auto. Die Fahrt durch das Tal benutzte Lene um mehr zu erfahren.
»Ich habe es ja nicht gesehen. Es ist so schrecklich. Wie er da lag! Blut im Schnee und wir auf dem Berg und dann die anderen Schüler. Ich wusste nicht einmal, wo die alle waren. Und mein Kollege …«
Lene unterbrach das Durcheinander ihrer Schilderung.
»Frau Gellner, ich weiß, es ist schwer nach so einem Erlebnis. Aber bitte versuchen Sie mir alles in einer Reihenfolge zu schildern. Wann ist es passiert? Fangen wir dort an. Und wo waren Sie und Herr Kaufmann in dem Augenblick? «
»Entschuldigen Sie. Aber das ist das erste Mal, seitdem ich Lehr erin bin, dass mir so etwas passiert. Also – ich war kurz vor der Breitfußalm, als Daniela den Hang herunterfuhr – geradewegs auf mich zu. Sie bremste ganz kurz vor mir – ich dachte schon, sie fährt mich um. Dann stößt sie hervor – völlig außer Atem. ‚Sie müssen sofort kommen. Es ist etwas passiert. Der Sven – er liegt da oben.‘ Ich bin an den Rand der Piste und habe die Skier abgeschnallt und getragen. Ich konnte von unten sehen, wie sich auf halber Höhe eine Traube von Skifahrern bildete. Ich stieg also den Berg hinauf – wissen Sie, wie lange so etwas dauert bei dem tiefen Schnee? Ich war verzweifelt. Je
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