Denn bittersüß ist der Schnee - Lene Beckers dritter Fall (Lene Becker ermittelt) (German Edition)
seinen Freunden war endlich ein L ächeln auf seinem Gesicht erschienen und die Augen glänzten.
»Und, was sagen sie?«
Lene schilderte ihm den Unfall.
»Wir von der Polizei verstehen das auch nicht, so wenig wie deine Mi tschüler. Es sah nach Absicht aus, das ist das Schlimme. Entweder es war ein Psycho, wie dein Freund Michael es nannte, oder es galt wirklich dir. Hast du Feinde, Sven?«
»Feinde? Nee, ich denke nicht. Max ist manchmal sauer auf mich wegen Steffi und sein Bruder Kilian kann mich auch nicht leiden w egen damals.«
»Wegen was damals ?«, hakte sie nach.
Aber er wurde müde. »Meine Moma, wo ist sie nur?«
Sie musste sich beeilen, es wurde zu viel für ihn.
»Sven, deine Freunde haben gesagt, dass du vor der Abfahrt des Busses noch einmal allein weggegangen bist. Warst du noch einmal zu Hause?«
Er schaute sie verwirrt an. »Wieso?«
»Deine Großmutter hat an dem Sonntagnachmittag Besuch gehabt. Weißt du, wen und hast du ihn vielleicht g esehen?«
Aber er hatte die Augen schon geschlossen. Ganz leise kam noch ein Satz. »Nein, ich weiß von keinem Besuch.« Dann war er eing eschlafen.
Die Tür ging auf, Dr. Marquardt steckte den Kopf herein. »Genug, Frau Becker.« Sie nickte und ging ganz leise aus dem Zimmer. Sie erzählte dem jungen Arzt, was sie Sven über seine Großmutter als Notlüge erzählt hatte. Er war erleichtert, würde die Version übe rnehmen.
»Das ist immer so schwer, wenn wir den Tod eines Angehörigen verschweigen müssen um dem Patienten nicht zu schaden. Man kommt sich so unaufric htig vor – und doch muss es sein.«
Sie hatte längst nicht alles erfahren, was sie wissen wollte, aber trotzdem breitete sich ein Gefühl der Erleichterung in ihr aus. Erst in dem Augenblick, als sie aus dem Kra nkenhaus herauskam, merkte sie, dass sie noch immer Angst um Sven gehabt hatte, doch jetzt war sie sicher, dass er gesund werden würde. Dann mussten die Fragen eben warten. Manchmal war man sogar als Ermittlerin gezwungen Geduld aufbringen.
Es schneite inzwischen schon wieder. Dünne Flocken, dazu Wind, der sie durcheinanderwirbelte. Die Straßen waren schon von einer dünnen Schicht bedeckt. Der Schnee würde liegen bleiben. Ihr Auto war bereits weiß eing ehüllt und sie suchte ihren Besen, mit dem sie in solchen Fällen die Scheiben sauber machte. Dabei fand sie das kleine Lederbuch zwischen den Sitzen. Als sie im Auto saß, schlug sie es auf.
Die Weite,
in der verzehrend wir erkennen,
wie wichtig Lebensfragen sind,
die uns bedrängen.
Losgelöstsein von den Wehren unseres Verstandes
Der zur Tugend uns verführend
Der verständigsten Moral stets leugnet
Aus dem Ich geboren
Uns zur Zweisamkeit vergeudet.
Sind wir nicht reif?
Rote Äpfel in leuchtenden Farben,
betrügt ein Geschmack die Frucht,
die wir nicht ertragen?
Verschwenden wir, wo Sparsamkeit die Regel,
Die Gefühle, die für uns, zu klein
Uns zu bedrängen, uns im Großen töten?
Stein zu Stein und Flug zu Flug
Lösen wir uns von der Schwere
Und vergessen,
Leicht beflügelt stürzen wir
In Klüfte ohne Wiederkehr,
erkennend, doch nicht achtend
der Vernunft, die uns gleich einer Größe,
vorm Zerschellen schützt
und doch nicht rettet.
Nachdenklich schloss sie das Buch. Verschwenden wir Gefühle, dirigiert vom Verstand? Aus Angst, dass sie uns töten, wenn wir sie zulassen?
Sie sah sich wieder gestern Morgen, tieftraurig wegen der immer wieder drohenden Trennung von Mike. Doch, auch sie kannte die Angst vor der Li ebe, sich einzulassen, verletzbar zu sein. Ihre vielen Versuche Schutzschilder aufzubauen, wenn er in Kalifornien und sie hier war. In der Hoffnung, dass die Trennung dann erträglicher wäre, nicht mehr weh täte. Ach Mike. Sie griff zum Telefon. Rief ihn an, wollte einfach seine Stimme hören. Doch dann wählte sie erst die Nummer des Frauenhauses in Bamberg. Da ihre Nummer dort bekannt war und zudem auf dem Display zu sehen, verband man sie wirklich bald mit Rike Walther.
»Wie geht es Sven? Ich bin voller Sorge, seitdem Ihr Kollege hier angerufen hat. Was für ein Schrecken – das nun auch noch! Ich kann es gar nicht begre ifen.«
Wieso hat sie mich dann noch nicht längst angerufen und nach ihm gefragt, dachte Lene misstrauisch. Aber es gab wohl solche Me nschen, die gelähmt abwarteten, gerade, wenn sie schlechte Nachrichten befürchteten.
Sie beschrieb Rike Walther geduldig, wie sie Sven in Zell am See vorgefunden hatte, und dass er inzwischen im Krankenhaus in Erla
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