Denn das Glueck ist eine Reise
Beispiel: ›Ich esse eine Crêpe mit Schokolade und Erdbeeren.‹«
»Nein«, widersprach Charles. »Schreiben Sie besser: ›Ich esse eine Galette mit Chavignol‹, denn wie man ›Crêpe‹ schreibt, wissen wir schon.«
»Okay. ›Ich ess ...‹«
Alexandre beugte sich über die Papiertischdecke, die schon ziemlich vollgekritzelt war. Als er den Kopf wieder hob, lasen Georges und Charles: ›Ich ess 1 Galet mit Chavignol.«
»Ich habe nicht den Eindruck, als hätte man da viel eingespart«, meinte Charles ein wenig misstrauisch.
»Wird ›Chavignol‹ in der SMS nicht abgekürzt?«, fragte Georges.
»So auf Anhieb fällt mir da nichts ein.«
Alexandre schrieb das Wort mehrmals auf die Tischdecke, ließ ein paar Buchstaben aus, fügte wieder welche hinzu und kam dann zu dem Schluss, dass ›Chavignol‹ ›Chavignol‹ blieb.
»Sie haben recht. Mit Chavignol geht das nicht so gut. Andererseits schreibt man in SMS auch selten etwas über Chavignol. Es gibt aber jede Menge andere Wörter, die man gut abkürzen kann und die man ständig benutzt.«
»Ach ja?«, sagte Charles. »Zum Beispiel?«
Alexandre überlegte.
»Ah. ›Bis morgen‹. Das schreibt man oft. Oder ›bis bald‹.«
»Toll!«, rief Georges. »Dann benutze ich das jetzt immer.«
Alexandre schrieb ›bimo‹ und ›biba‹ auf die Decke und schaute die beiden Achtzigjährigen zufrieden an.
»Sehen Sie«, rief er. »Zwei Wörter habe ich jeweils auf vier Buchstaben gekürzt. Dadurch habe ich eine Menge Buchstaben eingespart.«
»Stimmt. Da spart man viel Platz. Gut gemacht, junger Mann. Kennen Sie noch mehr Beispiele?«
»Klar«, sagte Alexandre. »Manchmal werden auch drei Wörter durch die Anfangsbuchstaben ersetzt. Zum Beispiel ›AIO‹ statt ›alles in Ordnung‹ und ›vlg‹ statt ›viele liebe Grüße‹.«
Jetzt waren Georges und Charles richtig beeindruckt, und Alexandre freute sich.
»Sehen Sie, ich habe circa achtzig Prozent der Buchstaben eingespart. Das ist Sprachökonomie im wahrsten Sinne des Wortes.«
»Klasse! So, mein lieber Charles, jetzt müssen wir das, was wir gelernt haben, nur noch anwenden ... Das ist wirklich eine tolle Sache, mein lieber Alexandre, aber haben Sie schon mal etwas vom Louchébem gehört?«
Alexandre hatte noch nie etwas vom Louchébem gehört, doch am Ende des Abends und nach ein paar Gläsern Cidre aus der Region sprach er diese Geheimsprache fließend – ebenso wie die Mitarbeiter in der Küche und ein Großteil der Gäste. Gegen ein Uhr nachts fielen ihnen keine bretonischen Lieder mehr ein, und Georges stimmte alte Chansons an: Maurice Chevalier, Ouvrard, Milton. Aber als niemand mehr mitsang, entschieden sie, es sei wohl besser, den Heimweg anzutreten.
Adèle langweilte sich. Sie verbrachte die Zeit damit, zu warten. Tag und Nacht war sie allein mit dem Filmteam und wartete. Sie fühlte sich in diesem Haus eingesperrt. Unmöglich, einfach hinauszugehen und sich auf der Brick Lane ein wenig die Beine zu vertreten. Sobald sie gerufen wurde, musste sie unverzüglich zur Stelle sein. Sie konnte auch nicht lesen oder Kreuzworträtsel lösen oder sonst irgendetwas tun. Sie musste warten und so tun, als interessiere sie das alles sehr.
Wieder einmal saß sie mit ein paar anderen Mitgliedern der Crew auf einem Gang. Diesmal war es ein anderer Gang, der zum großen Salon führte. Doch dieser Gang war ebenso düster, und es hingen hier die gleichen verstaubten Samtvorhänge vor den gleichen alten, zugigen Fenstern. Der Salon, in dem gedreht wurde, war so groß, dass sie dort ein kleines Plätzchen im Warmen und mitten im Geschehen gefunden hätte. Aber sie musste eine Requisite holen, und jetzt durfte sie nicht eintreten, da gedreht wurde. Offenbar brauchten sie das, was sie geholt hatte, nicht mehr. Adèle setzte sich seufzend neben dem Vorhang auf den Boden. Auf dem Gang diskutierten die Elektriker mit den Lkw-Fahrern. Diese hatten sich einen Kaffee geholt, den sie in ihrer Fahrerkabine trinken wollten. Zwei Schauspieler, die schon lange geschminkt waren und bereits Kostüme trugen, liefen hin und her und übten ihre Texte. Der Maskenbildner, der gestern zu viel Bier getrunken hatte, saß zusammengesunken auf einer Stufe und schlief seinen Rausch aus. Adèle schaute zum x-ten Mal auf die Uhr: 23.12 Uhr. Sie musste mindestens noch zwei Stunden warten, bis sie nach Hause gehen konnte. Sie gähnte und schaltete dann ihr Handy ein. Ach, wie schön, sie hatte drei SMS erhalten, und jemand
Weitere Kostenlose Bücher