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Denn das Glueck ist eine Reise

Denn das Glueck ist eine Reise

Titel: Denn das Glueck ist eine Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caroline Vermalle
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entlanggeführt hatte. Doch dort konnte man für fünfundvierzig Euro in einem wunderschönen Schloss aus dem 17. Jahrhundert übernachten. Charles und Georges betrachteten voller Bewunderung die Landschaft der Touraine, welcher der beginnende Herbst einen besonderen Zauber verlieh: die grauen und rötlichen Farbtöne der Felder, die Schieferdächer, die Wolken, die wie Rauch über den Himmel zogen, das satte Grün der Wälder, die vertrockneten Sonnenblumen, die ihre braunen Köpfe hängen ließen wie bestrafte Kinder. Georges bedauerte nicht mehr, dass er die Tour fortgesetzt hatte.

    Es war seit Ewigkeiten so, dass Georges, was Geld anging, relativ sorgenfrei leben konnte und Charles eben nicht. Und auch wenn Georges gar nicht mehr darüber nachdachte, so hatte Charles sich nie ganz daran gewöhnt. Daher war er besonders stolz, Georges an diesem Abend in dem Örtchen Le Petit-Pressigny ins Restaurant einzuladen. Und zwar nicht in irgendein Restaurant, sondern in eines, das in jedem Reiseführer stand. Der Michelin hatte ihm übrigens seinen wertvollen Stern verliehen und erging sich in Lobgesängen über den »Bauernspeck an in Butter geschwenktem Grünkohl« oder die »schwarze kross gebratene Blutwurst.« Charles ging es nicht darum, Eindruck bei seinem Freund zu schinden. Aber dieser Restaurantbesuch bot den beiden Reisenden endlich die Gelegenheit, angemessen auf ihr Abenteuer anzustoßen. Bisher hatten sie dies versäumt, wenn man einmal von dem warmen Kir in Guéméné absah. Georges nahm die großzügige Einladung daher dankbar und wahrhaftig erfreut an. Sie verbrachten einen unvergesslichen Abend in dem Restaurant, und das köstliche Essen und der hervorragende Wein steigerten die Euphorie, die sie seit den letzten Ereignissen erfüllte. Die beiden Freunde waren die letzten Gäste, die das Restaurant verließen. Und die glücklichsten.
    Am nächsten Tag hätte die Sonne niemals aufgehen dürfen.

Freitag, 10. Oktober

    La Celle-Guénand – Loches (Indre-et-Loire)
    ....................
    Georges zog die alten Vorhänge in seinem Zimmer im Château de La Celle-Guénand auf und schaute hinaus auf den wolkenlosen Himmel. Es war wieder schön geworden, aber noch immer kalt. Das Sonnenlicht spielte mit dem goldenen Laub der Bäume. Er hatte nicht besonders gut geschlafen, denn die Matratze war alt, doch diesmal sagte er nichts. Die Besitzerin dieses noblen Châteaus, eine reizende, elegante und sehr zierliche Dame, war noch älter als er selbst. Sie kümmerte sich persönlich um ihr Anwesen und die zwölf Zimmer, die sie vermietete. Das musste verdammt viel Arbeit sein. Alles war ausgebessert, vergilbt und verblasst, aber Georges erkannte dennoch den Glanz früherer Zeiten. Der Teppich in seinem Zimmer hatte sogar eine ruhmreiche Vergangenheit. Dank guter Beziehungen zu den richtigen Leuten hatte die Schlossherrin die Möglichkeit gehabt, ihn zu erwerben, als das Ritz in Paris renoviert wurde.
    Georges musste sich beeilen, um noch rechtzeitig zum Frühstück zu erscheinen, das im Waffensaal zwei Etagen tiefer serviert wurde. Das Schloss hatte eine wunderschöne Treppe, die noch originalgetreu erhalten war, doch die Stufen waren mittlerweile stark abgenutzt. Die Morgensonne, die durch eines der großen Fenster hereinschien, blendete Georges einen Augenblick. Er sah nicht, wohin er trat, und rutschte auf der schmalsten Stelle einer Stufe aus. Der Rest des Körpers folgte, aber wie und in welcher Reihenfolge, daran würde Georges sich später nicht mehr erinnern.
    Achtundfünfzig Minuten später kam er im Krankenhaus von Loches an. Sein behandelnder Arzt fand die Geschichte mit der Tour de France zwar amüsant, fand aber klare Worte: Für Georges war die Tour hier zu Ende.

    Als das Essen auf einem Tablett gebracht wurde, wachte Georges auf. Eine Sekunde blieb er noch verschont, doch dann setzten die Schmerzen wieder ein. War es Abend, oder dämmerte der Morgen? Nein, es war Abend. Die Krankenschwester stellte das Kopfteil des Betts höher. Georges fühlte sich schwach und schwer wie Blei. Das Atmen bereitete ihm Mühe. An seinem Arm hing eine Infusion, und die medizinischen Geräte neben dem Bett blinkten. Er war allein, ganz allein. Sein Handy lag nicht auf dem Nachtschrank. An der Tür klebte der Hinweis: »Handys strikt untersagt«. Georges rührte das Essen nicht an, nahm aber die Medikamente und die Schlaftablette ein, die die Schwester ihm gebracht hatte. Dann stellte er das Kopfteil mit der Fernbedienung,

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