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Denn dein ist die Schuld

Titel: Denn dein ist die Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adele Marini
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    Sandra Leoni hatte es nicht eilig. Sie hatte gerade ihren Dienst angetreten und noch die ganze Nacht vor sich. Also ließ sie der jungen Frau, die vor ihr auf dem unbequemen Stuhl im Verhörzimmer saß, alle Zeit der Welt, um ihre Gedanken zu ordnen. Ihr direkter Vorgesetzter Vincenzo Marino hielt sich mit wem auch immer hinter der getönten Glasscheibe auf, um alles zu beobachten und mitzuhören. Es bereitete ihr Vergnügen, ihn warten zu lassen. Trotzdem machte sie seine unsichtbare Anwesenheit nervös. Sie durfte sich keine Fehler erlauben. Lijuba Ivanova (auf dem Straßenstrich Susie genannt), fünfunddreißig Jahre alt, moldawische Staatsbürgerin, nach eigenen Angaben Prostituierte, keine Vorstrafen, war direkt vom Straßenstrich ins Präsidium gekommen. Nicht als Beschuldigte, sondern als freiwillige Zeugin. Sie saß auf diesem unbequemen Holzstuhl, dessen Kante abgesplittert war, ungeschminkt, die langen blonden Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden, und wirkte in ihren Jeans und dem ausgeleierten hellblauen Pullover wie eine Studentin. Man musste schon genauer hinschauen, um die feinen Fältchen in den Winkeln ihrer ein wenig mandelförmigen Augen zu bemerken, die sich bis zu den Schläfen hinzogen. Eindeutig Krähenfüße über den hohen Wangenknochen, doch die schmale Nase und die feinen Gesichtszüge einer kaukasischen Schönheit betonten ihr jugendliches Aussehen.
     
    Sandra Leoni (S.L.): Soll ich dich lieber Lijuba oder Susie nennen?
    Lijuba Ivanova (L.I.): Lieber Lijuba, wenn es dir nichts ausmacht. Susie ist ein Nuttenname.
    S.L.: Einverstanden, Lijuba. Meinst du, du kannst auf Italienisch antworten oder lieber auf Russisch? Sollen wir einen Dolmetscher kommen lassen, damit wir sicher sein können, dass wir beide uns verstehen?
    L.I.: Nein. Ich verstehe Italienisch, und du sprichst Russisch. Wenn nötig, du machst Übersetzung. Ich vertraue dir.
    S.L.: Kennst du die Person auf diesem Foto?
    L.I.: Ja, ich kenne sie. Ist ein Mädchen aus Tiraspol, Stadt in Moldawien, meine Heimat.
    S.L.: Weißt du, wie sie heißt?
    L.I.: Ich kenne Namen für Freier, Sonj a. Aber das ist nicht ihr richtiger Name, niemand sagt richtigen Namen. Aber ich einmal gehört, dass sie am Telefon sagt »Nelja« oder ähnliche Name.
    S.L.: Könnte der Name Nelea gewesen sein?
    L.I.: Kannst du schreiben, dass ich sehe, wie Name geschrieben?
    S.L. (zeigt der Zeugin ein gelbes Post-it mit dem in Blockbuchstaben geschriebenen Namen NELEA): So?
    L.I.: Ja. Das könnte sein. Nelea oder Nelja klingt gleich.
    S.L.: Wann hast du die Person, die du als Nelea identifiziert hast, zum letzten Mal gesehen?
    L.I.: Nicht Nelea, Sonja. Ich kenne als Sonja. Letztes Mal? Im Dezember. Heiligabend.
    S.L.: Wo seid ihr euch begegnet?
    L.I.: In Wohnung, wo ich mit anderen Prostituierten bin. Und Olga.
    S.L.: Hat Nelea-Sonja dort mit euch gelebt?
    L.I.: Ja, sie war erst in gleiche Wohnung. Aber dann sie ist Kindermädchen geworden und weggegangen. In Haus von feine Herrschaften, glaube ich.
    S.L.: Aber Weihnachten ist sie zu euch zurückgekommen. Warum?
    L.I.: Sie gesucht Aufenthaltserlaubnis. Ich nicht weiß, warum Olga Erlaubnis hatte.
    S.L.: Hat Olga sie ihr gegeben?
    L.I.: Nein, Olga hat nicht gegeben. Sie macht, was sagt Santo. Nur das. Und Santo gibt keine Papiere. Nie. Sonst seine Mädchen … (Sie ahmt mit den Händen fortfliegende Vögel nach.)
    S.L.: Aber warum hat Nelea-Sonja sie dann dort gesucht?
    L.I.: Ich weiß nicht. Ich glaube, sie hatten ihr versprochen.
    S.L.: Aber sie hat sie nicht bekommen.
    L.I.: Nein.
    S.L.: Und was hat Nelea-Sonja darauf getan?
    L.I.: Sie ist in Zimmer gekommen, wo ich bin, und hat Sachen gesucht, vergessene Sachen. Olga wollte nicht, dass sie da war. Aber dann sie musste weggehen, und Sonja ist noch bei mir geblieben. Dann ist Karola gekommen und hat sie rausgeschmissen.
    S.L.: Wer ist Karola? Kennst du ihren richtigen Namen?
    L.I.: Nein, ich kenne richtigen Namen nicht. Karola ist auch eine Nutte. Freundin von Olga. Ich glaube, kommt aus gleichem Dorf. Sie ist auch Geliebte von Santo. Offizielle Geliebte.
    S.L.: Während ihr zusammen wart, du und Sonja, habt ihr miteinander geredet?
    L.I.: Ja. Etwas. Sonja sehr nervös. Sie wollte Olga umbringen. So wir geredet.
    S.L.: Was hat sie dir erzählt?
    L.I.: Dass sie in gefährlicher Sache drin war. Dass sie musste schlimme Dinge tun für Santo. »Hör zu, Susie«, sie mir gesagt. »Organisation holt Mädchen aus Moldawien und Ukraine als Nutten. Nimmt Papiere weg,

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