Denn dein ist die Schuld
allen Gewalt an. Vergewaltigung. Ein, zwei, drei Mal. Bis du verstanden hast, dass sie Macht haben und auch töten können. Dann, wenn du ruhig bist und tust, was sie befehlen, du bleibst in Ruhe. Aber sie sind schrecklich. Machen viel Angst.
S. L.: Sind sie extra gekommen, um euch Angst einzujagen?
L.I.: Ab und zu. Nicht immer. Aber …
S.L.: Aber? Rede weiter. Jetzt gibt es keinen Grund mehr für dich, Angst zu haben …
L.I.: Ich habe immer Angst. Ich wollte erzählen von Mann, großer, dünner Mann, sehr böser Mann. Schlug wegen nichts. Er hatte Messer und zeigte immer, wie scharf es war.
S.L.: Würdest du ihn auf einem Foto wiedererkennen?
L.I.: Ja, ganz bestimmt, ja. Ich kenne gut sein Gesicht, und dann …
S.L.: Und dann? Erzähl weiter!
L.I.: Und dann man kann nicht verwechseln: Er hat sehr wenig und sehr lange Haare. Zu Pferdschwanz gebunden. Und dieser Pferdschwanz ist eingeschmiert, voll mit glänzender Creme, so er hängt glatt herunter wie Schwanz von Ratte. Er sich nennt Kurt, ich glaube. Aber er ist Italiener.
S.L.: Du meinst also, du würdest ihn wegen seiner Haare wiedererkennen? Aber Haare kann man färben oder abschneiden.
L.I.: Oh nein, er nicht! Haare sehr, sehr wichtig für ihn, und er lässt niemand an seinen hässlichen Schwanz. Kann nie abschneiden.
Notiz von S.L.: Hier endet die Befragung von Lijuba (Susie) Ivanova. Ispettore Capo Vincenzo Marino hat mich auf dem Handy angerufen, wie wir im Vorfeld vereinbart haben, und hat mir gesagt, ich soll die Zeugin verabschieden.
Lijuba Ivanova wurde in einem normalen Wagen in das geheime Apartment zurückgebracht, von dem sie unsere Beamten vorher abgeholt hatten.
KAPITEL 73
Dienstag, 6. März, etwa um die gleiche Zeit
Ein Streifenwagen der Carabinieri brachte Don Mario ins Pfarrhaus. Der Ermittlungsrichter hatte die Festnahme bestätigt, ihm aber Hausarrest zugebilligt. Das war besser, denn wer des Missbrauchs oder der Ermordung von Kindern beschuldigt wird, überlebt im Gefängnis nicht bis zum Prozess.
Dem Wunsch des Pfarrers entsprechend wurde er heimlich in der Nacht zurückgefahren. Das bedeutete ein ziemliches Zugeständnis, denn schließlich legte man ihm schwerste, geradezu abscheuliche Vergehen zur Last, und der Staatsanwalt sah nicht ein, dass man ihn mit besonderer Rücksicht behandeln musste. Nur der Umstand, dass Don Mario eine wichtige seelsorgerische Mission hatte und dass die Gemeindemitglieder unter der Schande zu leiden hatten, die schon wie eine Woge kochenden Teers über die Kirchengemeinde von Santa Maria della Conciliazione geschwappt war, hatte ihn dazu bewogen, dem Pfarrer peinliche Begegnungen zu ersparen, die bei einer Ankunft in polizeilicher Begleitung während des Tages nicht zu vermeiden gewesen wären.
Blass, abgemagert, mit schwankenden Schritten, vollkommen zerknitterter Kleidung, ausgewachsenen Haaren und Bart wirkte Don Mario nach diesen zehn Tagen wie um zwanzig Jahre gealtert. Sobald er zu Hause war, las man ihm die Einschränkungen vor, denen er unterlag: keine Besuche, keine Telefongespräche, kein Verlassen des Hauses ohne Bewachung.
Kein Fernsehen, keine Zeitungen. Bei gesundheitlichen Notfällen musste er zunächst das Kommando der Carabinieri informieren, und erst nach dem Eintreffen der Beamten durfte er den Notarzt rufen. Die Dinge für seinen persönlichen Bedarf musste er sich nach Hause liefern lassen, aber nur das, was erlaubt war. Er durfte die Kirche nur in Begleitung von Beamten betreten. Für die Beichte und sämtliche anderen Aufgaben in Zusammenhang mit seinem Amt musste er sich vertreten lassen. An Chor, Katechismusunterricht, Messen war gar nicht zu denken. Er würde Kinder nicht einmal mehr von weitem zu sehen bekommen. Praktisch hieß das, er sollte sich vorstellen, dass um ihn herum die Gitter und Wände einer Zelle waren. Wenn er nur eines dieser Gebote versehentlich übertrat, bedeutete das seine sofortige Rückkehr ins Gefängnis und wurde als Ausbruchsversuch gewertet, mit allen sich daraus ergebenden Folgen.
Sobald er das Haus betrat, sah er sich nach den Katzen um. Die Beamten, die ihn »überführt« hatten, ließen ihm nicht die Zeit, nach ihnen zu suchen. Sie fragten ihn, ob er jemanden wüsste, der für ihn und seine Bedürfnisse sorgen und außerdem die Verantwortung für seinen Hausarrest übernehmen konnte. Kurz gesagt, sie fragten ihn, ob er einen Gefängniswärter seines Vertrauens hätte.
Don Mario dachte kurz darüber nach, dann nickte er und
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