Denn dein ist die Schuld
in den Satz gegeben hatte, erinnerte sich der Journalist daran, dass er das Flugblatt doch besser in einen geschlossenen Umschlag stecken und per Kurierdienst an das Polizeipräsidium Mailand - Abteilung DIGOS schicken sollte.
Es war nicht das erste Mal, dass ein Journalist die Wichtigkeit eines Dokuments unterschätzte, das ihm zugespielt worden war, daher musste er nun dementsprechend leiden. Am nächsten Tag wurde der Reporter der zweitwichtigsten Tageszeitung Italiens von Polizeibeamten aus dem Bett gezerrt, die ihm gerade noch zugestanden, seinen Schlafanzug aus- und Pullover und Jeans anzuziehen, bevor sie ihn ins Präsidium brachten.
Den harten Jungs von der DIGOS hatte zunächst weder die Abkürzung SNOB noch die Namen Acido und Klaus etwas gesagt. Sie wurden jedoch schnell fündig: Auf ihren Computerbildschirmen waren gleich die Meldungen der Carabinieri nach dem Mord an dem jungen Carabiniere vor der Diskothek Nadir erschienen.
Jeden Tag tauchten neue Namen und Abkürzungen von Gruppierungen der rechts- wie linksextremistischen Szene auf, daher war es nicht leicht, sie alle im Auge zu behalten. Doch weil Acido und Klaus gerade erst negative Schlagzeilen gemacht hatten, hatten sich die Beamten sofort nach Erhalt des Flugblattes wie die Geier auf den Journalisten gestürzt.
Warum hatte man gerade ihm dieses Flugblatt zugespielt?
Womit beschäftigte er sich sonst?
Führte er zufällig auch ein Dossier über die Neofaschisten?
Hatte er bei seinen Recherchen für die Zeitung vielleicht etwas herausgefunden, das er verheimlichte, um sich die Sensation aufzusparen?
Selbstverständlich wurden seine Notizbücher und das Notebook auf der Stelle beschlagnahmt.
Auch Tenente Colonnello Glauco Sereni dachte gleich an das Schlimmste, als er am Morgen bei seinem ersten Kaffee des Tages die Kurznachricht in der »Repubblica« las.
Alle vier Mörder befanden sich nach richterlicher Anordnung in Isolationshaft.
Romano Gatti, genannt Acido.
Fabio Frustoli, genannt Mastino.
Guido Parisin, genannt Fritz.
Alberto Corsoli, genannt Klaus.
Die richtigen Namen und die Kampfnamen, wie sie dazu sagten.
Das Flugblatt enthielt klare Todesdrohungen gegen Gatti und Corsoli, die beiden, die sich entschlossen hatten, mit der Polizei zusammenzuarbeiten.
Das durfte man nicht auf die leichte Schulter nehmen.
Außerdem musste er eine Möglichkeit ernsthaft in Betracht ziehen: Vermutlich gab es einen Maulwurf bei den Carabinieri.
Oder in der Staatsanwaltschaft.
Oder bei der DIGOS.
Egal wo der Maulwurf saß, er hatte auf jeden Fall seine Arbeit getan, dachte Sereni. Denn bislang hatte man die Medien nicht darüber informiert, dass Gatti und Corsoli zur Kooperation bereit waren, Frustoli und Parisin zögerten.
Man hatte alle vier zusammen festgenommen. Gatti und Corsoli hatten sofort ihre beiden Kameraden Frustoli und Parisin verpfiffen. Von da an hatte man sie voneinander getrennt. Verschiedene Zellen und Gefängnisse. Zwei kamen nach San Vittore und zwei in den Hochsicherheitstrakt von Opera.
Glauco Sereni, seit Tagesanbruch bereits wie immer akkurat gekleidet, trank seinen Kaffee aus, den ihm ein junger angehender Carabiniere gebracht hatte, dann rief er den Leiter der DIGOS an, um einen Termin auszumachen, und schließlich verlangte er in der Telefonzentrale des Polizeipräsidiums, mit Ispettore Capo Vincenzo Marino verbunden zu werden.
»Hier spricht Glauco Sereni, Vincenzo, guten Morgen!« Seine Stimme klang völlig ausdruckslos, obwohl er innerlich aufgewühlt war. »Vielleicht haben wir ja das fehlende Glied in der Kette gefunden!«
Vincenzo Marino, der die Stimme sofort erkannt hatte, meinte dabei das Geräusch der zusammenschlagenden Hacken hören zu können.
»Guten Morgen, Glauco, können Sie mich kurz ins Bild setzen?«
»Ich muss heute sowieso ins Zentrum. Können Sie mich empfangen … so gegen 15 Uhr?«
»Sicher. Gibt es was Neues?«
»Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich Ihnen das lieber persönlich sagen. Inzwischen können Sie auch einen Blick in die ›Repubblica‹ werfen. In den Regionalnachrichten werden Sie eine Kurznotiz finden. Eigentlich nur ein kleiner Absatz … Lesen Sie den. Bis dann, Vincenzo.«
Wieder dieser militärische Ton. Er hatte aufgelegt.
Sie trafen sich pünktlich um drei Uhr nachmittags.
Als Tenente Colonnello Sereni das Büro von Ispettore Capo Marino betrat, saß dort auch Sandra Leoni, die sofort diskret das Zimmer verlassen wollte, doch man forderte sie auf zu
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