Denn dein ist die Schuld
bleiben.
»Was ich zu sagen habe, betrifft die laufenden Ermittlungen. Daher sollten Sie ebenfalls zuhören, Dottoressa Leoni.«
»Danke.«
Sandra überließ ihm den Sessel vor dem Schreibtisch und setzte sich selbst auf den Stuhl neben dem Fenster, nachdem sie ihn von einem Stapel Akten befreit hatte.
»Ich sehe, Sie haben die Kurznachricht gelesen, auf die ich Sie hingewiesen habe, Vincenzo.« Der Carabiniere zeigte auf die zusammengefaltete Zeitung, in der ein Absatz gelb markiert war. »Was halten Sie davon?«
»Diese vier sind dieselben Männer, die einen Ihrer Leute ermordet haben, richtig?«
»Ja. Sie arbeiten mit uns zusammen. Ich war gerade bei Ihren Kollegen von der DIGOS. Das Flugblatt ist gestern per Kurierdienst gebracht worden. Der Verfasser dieser Zeilen hat es uns geschickt, und momentan muss er Ihren Ermittlern erklären, warum er es für einen Artikel zurückgehalten hat, anstatt sich unverzüglich bei ihnen zu melden. Ich fürchte, seine Lage ist alles andere als angenehm.«
»Glauco, hier wird niemand gefoltert.«
»Nein, natürlich nicht. Vincenzo, was halten Sie denn von diesem Flugblatt? Es gab keine Attentate, daher ist es kein Bekennerschreiben. Und Sie, Dottoressa Leoni: Welchen Sinn könnte dieser verquaste Unsinn haben?«
»Ich würde sagen, wenn zwei dieser Idioten mit uns zusammenarbeiten, ist dieses Flugblatt als Warnung gemeint - für die und für uns …« Marino klang unsicher. Er war nicht sehr überzeugt.
»Das ist das Nächstliegende.« Tenente Colonnello Sereni erhoffte sich eine etwas gewagtere Schlussfolgerung, und Sandra Leoni konnte seine Erwartungen erfüllen.
»Ich würde sagen, das ist mehr als eine Warnung«, erklärte sie. »Es ist eine Einschüchterung, eine ganz konkrete Drohung. Colonnello, Sie haben diese vier praktisch auf frischer Tat ertappt. Jetzt hören wir von Ihnen, dass sie mit Ihnen zusammenarbeiten. Wobei? Was betrifft das? Ich glaube nicht, dass sie viel über die Schlägerei zu sagen haben, die einen Ihrer Männer das Leben gekostet hat. Oder irre ich mich?«
»Sie geben uns Informationen über die Organisation, der sie angehören. Zwei von ihnen haben schon diverse Angaben gemacht, wir hatten aber noch keine Zeit, diese zu überprüfen. Wir haben eine Kopie der Akte an die DIGOS weitergeleitet. Inzwischen haben alle vier darum gebeten, mit ihren Anwälten sprechen zu dürfen, ehe sie direkt mit dem Staatsanwalt verhandeln. Wir erwarten, in Kürze mehr zu erfahren. Der Name Sangue Nero Onore Bianco, abgekürzt SNOB, taucht in den Akten nicht auf. Diese Organisation ist absolut unbekannt. Aber das ist normal. Diese Gruppierungen sind nichts anderes als Clubs, sie sprießen wie die Pilze aus dem Boden und gehen auch gleich wieder ein. Oder sie verändern ihre Zusammensetzung, vermischen sich mit anderen Gruppen, bilden Splittergruppen und geben sich dabei ständig neue Namen, die die extremistischen Ideologien der Rechten wie der Linken aufnehmen. Dabei greifen sie Symbole und Begriffe aus dem Fundus von Faschismus und Nationalsozialismus wie auch aus dem des Kommunismus auf. Die Symbole sind fast immer gleich. Hammer und Sichel oder der fünfzackige Stern für die linke und Keltenkreuz und Buchstaben in den Kreisfeldern bei der rechten Szene.
Diese SNOB war bislang unbekannt, auch bei der DIGOS, zumindest hat man mir das gesagt. Allerdings hat man das Ganze an die Zentrale Leitung der Präventionspolizei und den Geheimdienst weitergegeben. Schauen wir mal.«
»Was genau haben die Verhafteten denn gesagt?« Marino war verwirrt. Seit einiger Zeit schwirrte ihm ein Gedanke durch den Kopf, aber es war eine so gewagte, so an den Haaren herbeigezogene Hypothese, dass er lieber noch etwas mehr in der Hand haben wollte, bevor er sie äußerte.
»Sie haben gesagt, dass es um Geld geht. Viel Geld. Anscheinend werden diese jungen Schläger für neue Organisationen angeworben, die theoretisch bei Demonstrationen als Ordnungskräfte eingesetzt werden sollen, praktisch aber ganz andere Aufgaben haben.«
»Zum Beispiel?«
»Das sind professionelle Schläger, Provokateure, Mörder, die sich dessen gar nicht bewusst sind. Die Namen, die sie sich geben, sind unwichtig, denn sie arbeiten für verschiedene Organisationen und für jeden, der sie für ihre Dienste bezahlt. Erinnern Sie sich noch an die Ereignisse beim G8-Gipfel in Genua? Wissen Sie, wer damals im Schwarzen Block mit dabei war? Hier allerdings scheint es um etwas anderes zu gehen als darum Leute
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