Denn dein ist die Schuld
zu verprügeln … Was wissen Sie über die Solntsevskaya, besser bekannt auch als ›Brigade Solntsevo‹?«
Marino lief es eiskalt den Rücken hinunter.
Die Russenmafia.
Diese Streberin Sandra Leoni meldete sich als Erste zu Wort.
»Ich könnte mich irren, aber der Name dieser Organisation taucht doch in dem Schreiben von Interpol über das Kindermädchen des entführten Babys auf, Dottor Sereni. Vince, kannst du mir mal die Akte geben?«
»Sehr richtig!«
Der Tenente Colonnello war so begeistert über die Ispettrice von der Polizei, dass er ihr ein Lächeln schenkte. Diesmal lächelte er wirklich und verzog nicht nur ironisch die Mundwinkel. Er öffnete dabei sogar seine Lippen, und mit einem Mal hatte man den Eindruck, in seinem Inneren wäre eine Glühbirne angeknipst worden. Überraschung, dachte Vincenzo Marino, dieser Mann ist ja doch ein lebendiger Mensch!
Sandra Leoni ließ das kalt.
»Wenn sich die Aussagen dieser vier bestätigen sollten, haben wir endlich das fehlende Glied, das Simonella mit … der Entführung des eigenen Sohnes in Verbindung bringt, oder?«
»Wir werden sehen, Dottoressa, wir werden sehen. Es gab bislang keine Lösegeldforderung. Nach unserem jetzigen Wissensstand könnte das Kind auch von Außerirdischen entführt worden sein. Und Ingegnere Simonella ist in die Abhöraffäre verstrickt. Eine Affäre, die viel zu kompliziert für die vier da ist, selbst wenn wir vermuten, dass Micciché nicht zufällig getötet wurde, nur weil er auf diesen mit Drogen vollgepumpten Abschaum gestoßen ist. Wir denken, dass sie ihn absichtlich provoziert und totgeschlagen haben, weil sie ihn als einen Carabiniere erkannt haben und überzeugt waren, dass der arme Kerl vor Ort war, um sie zu observieren. Es war purer Zufall, dass der Carabiniere auf seinem Weg vom Kino zur Kaserne dort an der Disko vorbeikam. Aber das konnten die vier ja nicht wissen. Sie haben so reagiert, weil sie damit rechneten, der Besitzer des Nadir würde ihnen schon helfen zu verschwinden. Aber damit lagen sie falsch. Der Mann hat etwas daraus gelernt, als man ihm bei der letzten Schlägerei vorübergehend den Laden geschlossen hatte. Sobald sie anfingen, Micciché zu provozieren, hat er sämtliche Zugänge verriegelt und uns gerufen. So konnten wir sie wie flüchtende Hasen einfangen. Ab jetzt wird sich auch der Geheimdienst mit ihnen beschäftigen, aber wir werden unsere Ermittlungen fortsetzen.«
Marino blieb bei dieser letzten Information nach außen hin ungerührt und hütete sich, laut zu äußern, was ihm dabei durch den Kopf schoss: Tenente Colonnello Sereni mochte vielleicht kooperativ sein, aber er war immer noch ein Carabiniere und deshalb misstrauisch gegenüber anderen Ermittlungsbehörden. Besonders gegenüber dem Geheimdienst.
»Das ist alles sehr interessant, was Sie uns da bislang eröffnet haben. Aber ich wette, Sie sind hier, weil Sie eine bestimmte Idee haben …«
»Ja, ich habe eine bestimmte Idee.« Der Tenente Colonnello wechselte von der ersten Person Plural zur ersten Person Singular, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. »Ich denke, dass hinter alldem ein Mann im Hintergrund steht, oder besser eine Gruppierung, die bislang im Dunkeln geblieben ist. Sagen wir, ein Regisseur … Jemand, der irgendwann einmal selbst sehr aktiv war und jetzt im reiferen Alter von diesen Erfahrungen profitiert. Jemand, der in großen Dimensionen denken kann, wenn es um die Destabilisierung unseres demokratischen Systems geht oder schlicht und ergreifend um seinen eigenen finanziellen Vorteil. Im Augenblick denke ich, geht es ihm um den finanziellen Vorteil. Wir sollten versuchen, Ingegnere Simonella ausfindig zu machen. Ich bin mir sicher, dass er uns interessante Dinge enthüllen könnte. Inzwischen lesen Sie sich das mal durch. Es ist eine Zusammenfassung des Jahresberichts der Nationalen Antimafia-Kommission.«
Sereni entnahm seiner Ledertasche eine Akte mit Kopf und Logo der ARMA.
»Wir haben darin einige interessante Ansätze gefunden. Teilen Sie mir mit, was Sie davon halten. Einen schönen Tag noch, Ispettore. Dottoressa Leoni!«
Mit einer eleganten Bewegung, die Marino, der nach der Akte griff, nur bewundern konnte, neigte der Offizier leicht den Kopf vor ihr und verabschiedete sich.
KAPITEL 83
Marino las die Kopfzeile.
ITALIENISCHES PARLAMENT
Parlamentarische Untersuchungskommission über das Phänomen Mafia und andere ähnlich gelagerte kriminelle Vereinigungen Jahresbericht
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