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Denn dein ist die Schuld

Titel: Denn dein ist die Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adele Marini
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wahr, als hätten sich Ameisen unter seiner Haut angesiedelt und würden dort Tunnel graben. Darauf folgte ein Gefühl der Kälte, etwa wie wenn jemand nackt mitten im Winter aus einem See auftaucht.
    Winzig kleine Eisnadeln bohrten sich in Hände und Füße, während Kälteschauer seinen Körper unkontrolliert zucken ließen. Leonardo wachte mit lautem Zähneklappern auf.
    Er öffnete ein Auge.
    Schloss es wieder.
    Dann versuchte er, so schwach, wie er war, alle beide zu öffnen.
    Ein blaues Licht blendete ihn.
    Er holte Luft, und die beiden Geräte, die seine Herzund Hirnfunktionen überwachten, gaben akustische Signale von sich.
    Dem Erwachen folgten Halluzinationen. Doch dieser Zustand währte nur kurz. Am frühen Morgen war Leonardo beinahe völlig bei Bewusstsein, jedenfalls sein Körper, denn sein Kopf war wie voller Gelatine, und er konnte keinen klaren Gedanken fassen, da war der ihm schon wieder entglitten wie ein schlüpfriger Fisch. Als seine Mutter um acht Uhr auf der Intensivstation erschien, stellte sie fest, dass man ihren Sohn in die Abteilung für die Nachbehandlung von Traumata verlegt hatte, jedoch in einen Spezialflügel für Patienten aus dem Gefängnis oder Kranke, die aus anderen Gründen überwacht werden mussten.
    Sein Zustand war noch ernst, aber alles ließ auf eine positive Entwicklung hoffen.
    Sandra Leoni und ihr Kollege Pogliani kamen gegen neun. Sie grüßten die Beamten auf dem Flur, die Leonardo bewachten, und fragten die Stationspfleger, ob der Patient in der Lage war, Besuch zu empfangen und vielleicht sogar einige Fragen zu beantworten.
    »Er ist ganz sicher bei Bewusstsein, wach und in der Lage, die Therapien zu unterstützen. Er kann noch nicht sprechen, da der Schlauch des Beatmungsgerätes seinen Kehlkopf und die Stimmbänder entzündet hat, aber ich glaube, dass er Zeichen geben kann. Sie können ein paar Minuten bei ihm bleiben. Doch ich rate Ihnen zu gehen, wenn er nur das leiseste Anzeichen von Erschöpfung zeigt.«
    Sandra Leoni versprach es, daraufhin begleitete ein Pfleger sie in das Zweibettzimmer.
    Leonardo war allein.
    Er lag im Bett, das in der Nähe der Tür stand, halb aufgerichtet, um besser Luft zu bekommen. Als sie den Raum betrat, hatte er die Augen geschlossen, an einen Arm war ein Schlauch angeschlossen, rötliche Sommersprossen hoben sich stark von seiner blassen Haut ab, und unter dem dicken Verband quollen ein paar Haarlocken hervor, die sein Gesicht umrahmten.
    Die Leoni näherte sich dem Bett und wartete schweigend ab, bis der Pfleger die Infusionsflasche überprüft hatte.
    »Hallo, Leonardo«, sagte sie dann und lächelte ihn an.
    Der junge Mann öffnete die aufgesprungenen, geschwollenen Lippen, doch es kam kein Laut heraus. Er zwinkerte nur.
    »Streng dich nicht zu sehr an. Du musst nicht sprechen. Ich heiße Sandra Leoni, bin von der Polizei und versuche herauszufinden, wer dir das angetan hat. Ich weiß, dass du noch nicht in der Lage bist, zu sprechen oder auch nur den Kopf zu bewegen, trotzdem möchte ich dir ein paar Fragen stellen. Bist du bereit dazu? Wenn du einverstanden bist, dann schließ die Augen und öffne sie wieder. Sonst schließ sie einfach nur.«
    Leonardo verzog den Mund zu der Andeutung eines Lächelns, dann klapperte er zustimmend mit den Lidern.
    »Gut. Also, fangen wir an. Bist du bereit?«
    Zustimmung.
    Leoni bemühte sich, die Fragen so zu formulieren, dass sie eindeutige Antworten erhielt. Ja oder nein.
    »Tut dein Kopf weh?«
    Er öffnete die Augen.
    Das bedeutete ja.
    »Sehr weh?«
    Nein.
    »Fühlst du dich verwirrt?«
    Er öffnete die Augen. Zögerte leicht, dann schloss er sie plötzlich. Also ja und nein.
    »Kannst du bis zehn zählen?«
    Seine Lider flatterten leicht. Er öffnete die Augen. Also ja.
    »Weißt du, was dir zugestoßen ist?«
    Noch ein Ja.
    »Hat es dir jemand erzählt?«
    Ja.
    »Die Ärzte?«
    Nein.
    »Eine Krankenschwester?«
    Zustimmung.
    »Erinnerst du dich an den Moment, als es passiert ist?«
    Er schlug die Augen auf, die Lider zitterten leicht, dann schloss er sie wieder. Also nein.
    Leoni holte tief Luft und überkreuzte beschwörend die Finger.
    »Hast du denjenigen gesehen, der dich niedergeschlagen hat?«
    Langes Zögern. Dann zitterten die Lider des jungen Mannes plötzlich und schlossen sich entschieden. Nein.
    Sandra Leoni blieb noch ein paar Minuten stehen und beobachtete Leonardo. Sein Gesicht schien zu einer Grimasse verzerrt zu sein. Vielleicht wirkte es auch nur so auf sie, aber sie

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