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Denn dein ist die Schuld

Titel: Denn dein ist die Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adele Marini
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sah, dass seine hellen Augen feucht glänzten.
    Tränen?
    Die Leoni merkte, dass sie nicht weiterfragen durfte. Nicht jetzt.
    »Das genügt, Leonardo. Jetzt versuch zu schlafen. Ich werde wiederkommen, wenn es dir besser geht. Auf dem Flur habe ich jemanden gesehen, eine Frau, die darauf wartet, zu dir zu kommen. Ich nehme an, sie ist eine Verwandte. Es ist zwar keine Besuchszeit, aber ich glaube nicht, dass der Stationspfleger etwas dagegen einzuwenden hat, wenn sie ein wenig bei dir bleibt. Soll ich ihn fragen?«
    Leonardo öffnete die Augen, nein, er riss sie weit auf. Ein eindeutiges Ja.
    Sandra Leoni, die eiskalte Polizistin, überkam eine unglaubliche Rührung. Sie beugte sich leicht vor und strich über Leonardos Hand, die nicht mit dem Tropf verbunden war. Dessen lange, vom Jod gelb eingefärbte Pianistenfinger hoben sich deutlich vom blendenden Weiß der Bettdecke ab wie die Rippen von Herbstblättern.
    »Wir werden ihn fassen, Leonardo. Er wird niemandem mehr etwas antun.«
     

KAPITEL 89
    Dienstag, 13. März, 11:00 Uhr
    Im Verhörraum des Gefängnisses »San Vittore« in Mailand waren sie zu sechst, darunter Pasquale Scifo, der ältere der beiden Festgenommenen. Der im Boden verankerte Resopaltisch mit den Metallbeinen war gerade so groß, dass an jeder Seite eine Person sitzen konnte, und deshalb saßen Scifo und sein Verteidiger praktisch dicht an der Wand, und die anderen hatten sich um den Tisch herumgequetscht.
    Sandra Leoni, die Haare zu einem strengen Zopf zurückgenommen, blauer Blazer, unnahbares Gesicht, saß rechts von Scifo. Ihr gegenüber Ispettore Capo Vincenzo Marino in Jeans und einer Jacke mit vielen prall gefüllten Taschen.
    Gegenüber dem Verdächtigen saß Staatsanwältin Laura Scauri, vor sich die dicke Ermittlungsakte. Neben ihr Tenente Colonnello Glauco Sereni, der in seiner Uniform so steril und steif wirkte wie eine Spielzeugfigur aus Plastik.
    Beim Hereinkommen hatten sie einander nicht gegrüßt. Nur Marino hatte, als er seinen Stuhl wegrückte und Platz nahm, kurz Glauco Sereni zugenickt, während der Verteidiger leicht den Kopf vor der Staatsanwältin neigte und sagte: »Dottoressa Scauri …«
    Sandra Leoni musterte ihn flüchtig. Er war jung und wirkte unsicher, mehr wie ein Praktikant. Von ihm würde sie sich nicht einmal in einem Nachbarschaftsstreit vertreten lassen.
    »Wir sind hier nur zu einem schlichten Verhör zusammengekommen«, fertigte sie ihn eiskalt ab. »Ich hoffe, Ihr Mandant begreift, wie wichtig es für ihn ist, dass er uns alles über seine eigene Schuld in Bezug auf das verübte Verbrechen verrät. Eine Schuld, die zweifelsfrei feststeht, da wir ihn auf frischer Tat ertappt haben. Wenn wir für die Ermittlungen nützliche Informationen von ihm erhalten, könnte das sogar eine Aufhebung der Untersuchungshaft nach sich ziehen …«
    Mit dieser Erklärung stellte Laura Scauri sofort klar, dass sie hier das Verhör führen würde.
    »Welches Verbrechen, Dottoressa Scauri? Meinem Mandanten werden eine Reihe von Verbrechen zur Last gelegt: Körperverletzung, Diebstahl, Hausfriedensbruch, obwohl man eine Kirche eigentlich als einen öffentlichen Ort ansehen sollte, nicht als privaten Raum. Zu anderen Zeiten waren die Kirchen die ideale Zuflucht für Verfolgte …«
    »Avvocato, Ihr Mandant ist alles andere als ein Verfolgter. Man hat ihn dabei überrascht, wie er einen bewusstlosen, schwer verletzten Menschen irgendwohin verschleppen wollte, den er und sein Komplize aller Wahrscheinlichkeit nach schon für tot hielten, da sie seinen Körper in Plastikfolie eingewickelt hatten. Genauer gesagt in Müllsäcke. Ohne das zufällige Eintreffen des Küsters wäre das Opfer sicher gestorben. Deshalb ersparen Sie dem Tribunal Ihre gelehrten Ausführungen, und kommen wir endlich zur Sache. Pasquale Scifo hat bis jetzt noch nichts erzählt. Er hat sich darauf beschränkt zu sagen, er hätte nichts mit der Tat zu tun, und zu leugnen, dass er das Opfer niedergeschlagen und ihm eine schwere Wunde zugefügt hat. Daraufhin hat er von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht. Wahrscheinlich hat er zu viel Polizeiserien gesehen. Und hier sind zwei, nein, drei Ermittler, die darauf brennen, ihn zu vernehmen. Was wird er diesmal sagen?«
    »Kann ich allein mit meinem Mandanten sprechen?« Der typische Versuch eines Winkeladvokaten, Zeit zu schinden, um seinen Gegner zu erschöpfen und zu verwirren. Sandra Leoni begriff, dass sie sich jetzt durchsetzen musste.
    »Darf ich

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