Denn dein ist die Schuld
nervös in seinen Unterlagen, presste aber die Lippen fest zusammen und ignorierte die flehenden Blicke seines Mandanten. Er war schon am Tag zuvor bei der Befragung von Della Volpe zugegen gewesen und hatte die Frage deshalb erwartet.
»Antworten Sie bitte.«
»Mit dem Handy, das ich am Schrubber festgemacht habe. Aber das wissen Sie ja bereits …«
»Erzählen Sie uns etwas über das Mädchen. Martina Della Seta. Wem haben Sie die Fotos gezeigt?«
»Na ja, denen vom Dany . Ich musste hunderttausend abdrücken. Ich hatte Schulden und …«
»Spielschulden?«
»Auch.«
»Was für Schulden hatten Sie denn noch bei diesen Leuten, Signor Scifo?«
»Ein Darlehen.«
»Wie hoch?«
»Zweiunddreißigtausend. Monatliche Raten von vierhundert bloß für die Zinsen. Und alle sechs Monate hat sich die Summe verdoppelt. 2002 hatte man mir tausend geliehen, mit hundert Prozent Zinsen.«
»Und deshalb haben Sie angefangen zu spielen? Weil Sie hofften, die Schuld ablösen zu können?«
»Was soll ich gehofft haben?«
»Das Geld wieder zurückzugeben.«
»Ach so! Ja, das habe ich gehofft.«
»Sie hofften also zu gewinnen, und stattdessen haben Sie verloren. So ist die Schuld immer weiter angewachsen.«
»Nein. Ich habe auch gewonnen. Sonst hätte ich doch nicht gespielt!«
»Beschäftigen wir uns wieder mit den Fotos. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, die Kinder mit dem Handy zu fotografieren?«
»Die vom Dany haben mir gesagt, ich soll das machen, wenn ich möchte, dass sie wegen der Schulden ein wenig Geduld haben. Für so ein Filmchen gab es zehn Scheinchen. Tausend Euro.«
»Mögen Sie kleine Jungs, Signor Scifo?«
Die Frage klang beinahe zufällig. Trotzdem regte sich der Befragte auf.
»Was für eine Scheißfrage ist das denn jetzt? Nein, ich mag keine kleinen Jungs. Ich steh auf Frauen. Erwachsene Frauen!«
Der Rechtsanwalt legte ihm eine Hand auf den Arm. »Passen Sie auf, was Sie sagen. Dottoressa Scauri hier ist Staatsanwältin …«
»Schon gut, Herr Anwalt.« Dottoressa Scauri hob eine Hand, ohne von den Unterlagen aufzublicken. Ganz offensichtlich hatte sie keine Lust, den Abschaum, der vor ihr saß, auch nur anzusehen. »Haben Sie die Kinder fortgebracht?«
»Ich sollte bloß … Also, man hat mir gesagt …«
»Ja oder nein?« Die Frage klang trocken, hart, schneidend wie ein Schlag mit dem Lineal auf die Finger.
»Das war nicht …«
»Die Dottoressa hat Ihnen eine Frage gestellt. Antworten Sie!« Colonnello Sereni sagte zum ersten Mal etwas. Dabei blieb er ganz ruhig und beschränkte sich darauf, es wie eine offensichtliche Tatsache auszusprechen, was allerdings höchst bedrohlich klang.
»Ich nehme Gebrauch von dem Recht auf …«
»Wir haben verstanden. Der Befragte macht von seinem Recht auf Zeugnisverweigerung Gebrauch«, mischte sich Ispettore Capo Vincenzo Marino ein. »Das ist Ihr gutes Recht. So wie wir das Recht haben, die Einzelhaft aufzuheben. Sie wissen, was der Knastfunk sagt? Dass Sie auf kleine Kinder stehen. Die sollen Ihnen so gut gefallen, dass Sie zwei davon entführt haben. Und dass diese ein schlimmes Ende gefunden haben. Sehr schlimm. Wenn Sie jemand beim nächsten Mal Duschen in den Arsch fickt, werden wir kaum etwas dagegen unternehmen können. Hoffen wir mal, dass es beim Arsch bleibt. Wache!«
Bleiernes Schweigen. Vincenzo Marino nutzte die Gelegenheit, um nach dem diensthabenden Wachmann zu rufen.
»Hey, nein. Verfluchte Scheiße, warten Sie! Reden wir weiter …« Scifo stand kurz vor einer Ohnmacht. Selbst in der Einzelzelle waren die Drohungen über den Knastfunk klar und deutlich zu ihm gedrungen. Obwohl er bis zu diesem Moment noch gar nicht der Pädophilie beschuldigt worden war und offiziell gar keine Verbindung zwischen ihm und den Kindern aus Rozzano bestand, hatten verschiedene Tageszeitungen Vermutungen angestellt, die gar nicht so weit hergeholt waren. Eigentlich hatten die Journalisten nur einige verbindende Elemente zusammengetragen: Ivan, der misshandelte Solist des Chores, Leonardo, der Organist dieses Chores, den man fast erschlagen hätte, und Pasquale Scifo, der Hausmeister an der Schule von Ivans kleiner Schwester, der versuchte, Leonardo zu beiseitigen, weil er glaubte, der wäre tot …
Im Gefängnis schaute man auch Fernsehen. Die Theorien der Medien waren sofort Allgemeingut geworden.
»Ich wiederhole die Frage. Haben Sie die Kinder fortgebracht?« Dottoressa Scauri klang ausdruckslos. »Antworten Sie: ja oder nein.«
Er saß in
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