Denn dein ist die Schuld
und diese Hand auf seiner Schulter und dieses Gesicht, das ihm zu nahe kam, störten ihn.
Beunruhigt war er, weil er die Person erkannt hatte, die gerade mit ihm sprach. Er hatte dieses Gesicht sofort mit dem Grund für seinen Krankenhausaufenthalt in Verbindung gebracht. Nicht mit Schmerz, denn als der Schlag ihn traf, blieb ihm gar keine Zeit, etwas zu spüren. Er war sofort in eine Dunkelheit versunken, die ein dumpfes Brausen, wie ein Wasserfall, erfüllte. Noch ehe er auf dem Boden aufkam, hatte er das Bewusstsein verloren.
»Du erinnerst dich an nichts. Du weißt von nichts. Du hast niemanden gesehen. Dieser Abend hat nie stattgefunden. Haben wir uns verstanden?«
In seiner derzeitigen Lage konnte Leonardo nichts tun, um dem intensiven Atem aus diesem Mund zu entgehen.
Pfefferminz. Kaugummi. Zahnpasta. Egal wonach dieser Atem roch, es war äußerst unangenehm.
Er verstand nicht, was der andere sagte. Wurde so in die Matratze gedrückt und musste gegen ein beklemmendes Gefühl im Oberkörper ankämpfen, dass er die Gestalt nur ängstlich und verwirrt mit weit aufgerissenen Augen anstarren konnte.
»Falls du mich nicht verstanden hast, wiederhole ich es noch mal im Klartext. Jedem, der dich fragt, sagst du, dass du dich an nichts erinnerst. Du weißt nicht, wer dich geschlagen hat. Du hast mich nicht gesehen. Du hast gar nichts gesehen, wirst du antworten, wenn man dich fragt. Verstanden?«
Die Stimmbandentzündung durch den Beatmungsschlauch legte sich erst langsam. Er würde bald nicht mehr heiser sein, aber im Moment war Leonardo noch nicht in der Lage zu reden. Er versuchte, ja zu sagen, aber es kam nur ein unartikulierter Laut heraus. Daher bewegte er kaum merklich den Kopf.
Ja.
»So ein Glück wie du hat man nur einmal. Ein einziges Wort von dir und du bist tot. Du und deine Mutter sind tot. Deine Mutter hat dich gern, weißt du das? Sie ist ständig hier bei dir im Krankenhaus gewesen. Sie war so verzweifelt, die arme Frau! Sogar zu mir ist sie gekommen, um mich zu fragen, ob man dich gut behandelt und ob ich wüsste, wer … Es würde mir leidtun, wenn ich ihr Schaden zufügen müsste. Aber irgendjemand würde das schon übernehmen. Und zwar richtig. Es liegt nur an dir, dass dies nicht geschieht. Wenn du je wieder Orgel spielen willst, musst du einfach alles vergessen. Alles. Und vergiss nicht: Diese Drohung kommt nicht von mir, sondern von sehr bösen Leuten. Hast du begriffen, was ich dir sage? Dann nick bitte.«
Leonardo kniff die Augen zusammen, weil seine Augen tränten. Dann bewegte er langsam den Kopf auf und ab.
Wieder ja.
»Braver Junge! Jetzt ruh dich aus und denk nur daran, schnell wieder gesund zu werden. Ach so, also wenn ich du wäre, würde ich schon mal ein wenig die Finger bewegen.«
Automatisch öffnete und schloss Leonardo seine Finger.
»Das ist sehr gut! Jetzt schüttele die Finger aus. Rechte Hand. Linke Hand.«
Der Schatten, der sich über das Bett gebeugt hatte, richtete sich auf und ließ Leonardos Schultern und Oberkörper los, der endlich wieder frei atmen konnte. Er schloss die Augen, damit sie nicht mehr brannten. Als er sie wieder öffnete, war niemand mehr zu sehen. Das Licht, das durch die angelehnte Tür hereinfiel, blendete ihn.
Wieder machte er keinen Versuch, noch einmal einzuschlafen, sondern sammelte lieber die Gedankenfetzen, die ihm durch den Kopf gingen. Er bemühte sich krampfhaft, sie in eine logische Reihenfolge zu bringen, doch dafür fehlte ihm die Kraft. Sein Verstand war löchrig wie ein Sieb. Eine Erinnerung hatte sich in ihm festgesetzt.
Eher der Schatten einer Erinnerung.
Der Don.
Er wusste nicht, warum, aber sobald er an Don Mario dachte, krampfte ihm ein dumpfer Schmerz Brust und Eingeweide zusammen. Irgendetwas Hässliches war mit dieser Erinnerung verbunden. Etwas, das mit dem Versprechen zu schweigen, verbunden war, das man ihm gerade abgepresst hatte.
Was sollte er nicht sagen?
Und wem nicht?
Und aus welchem Grund?
Er erforschte gerade hektisch seine Gedanken, als sich die Tür öffnete. Eine junge, sehr schöne Schwester kam herein. Vielleicht eine von der Nachtschicht, dachte Leonardo. Er kannte sie nicht, weil er erst vor kurzem hier auf diese Station verlegt worden war. Sie musste ziemlich groß sein, da ihr Kopf über das Gestell mit dem Infusionsbeutel ragte.
Er folgte ihr mit den Augen, während sie eine Spritze aufzog und diese direkt in den Schlauch stach. Noch ehe der Kolben ganz heruntergedrückt war, wurde sein
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