Denn dein ist die Schuld
versank.
Er weinte immer noch, als plötzlich auf der anderen Seite der Tür ein Licht anging. Die Dunkelheit, in der er seit wer weiß wie langer Zeit lag, war so dicht gewesen, dass der schwache Lichtschein, der unter dem Türspalt hereinfiel, ihn blendete. Er hörte schlagartig auf zu schluchzen und presste sich ganz flach an die Wand.
Ein Schlüssel wurde leise im Schloss herumgedreht. Dann hörte er das leise Klicken eines sich öffnenden Vorhängeschlosses. Der Lichtschein kam von einer Taschenlampe, die gleich darauf ausging, dann herrschte wieder Dunkelheit. Jemand schubste mit dem Fuß etwas aus Metall über den Fußboden, und die Tür schloss sich. Dann wurde es für kurze Zeit wieder hell. Ivans Herz klopfte so laut, dass er meinte, seine Trommelfelle platzten. Im Lichtschein konnte er so etwas wie ein Tablett mit einem Styroporbehälter von McDonald’s und einer Halbliterflasche Mineralwasser ausmachen. Und da war noch etwas. Der Junge näherte sich dem Tablett, um herauszufinden, worum es sich handelte, als es wieder dunkel geworden war. Er ertastete ein rundes Gefäß aus Metall. So etwas benutzten Maler, um Farben zu mischen. Er roch daran und wusste, dass er richtig geraten hatte. Zunächst fragte er sich, warum man ihm das hingestellt hatte, und als er darauf kam, war er erleichtert.
Es sollte ihm als Toilette dienen, und wenn man ihm so etwas hingestellt hatte, bedeutete das, dass er noch eine Weile hierbleiben würde.
Vielleicht würde man auch Martina zu ihm bringen.
Martina.
Wo war sie nur?
Er kauerte sich wieder auf die Liege und fing an zu weinen.
KAPITEL 25
Donnerstag, 8. Februar, 15:30 Uhr
Eine öffentliche Telefonzelle in einem riesigen Einkaufszentrum direkt hinter der Drehtür, neben dem Geldautomaten.
Es dauerte eine Weile, bis er ein Freizeichen bekam, da der Apparat die Telefonkarte aus Plastik zunächst immer wieder ausspuckte, doch beim vierten Versuch klappte es endlich.
»Hallo. Ich bin’s.«
»Ja, ich habe Ihre Stimme erkannt. Probleme?«
»Ja, ein großes. Was machen wir mit … der Verpackung?«
»Entsorgen. Und zwar schleunigst.«
»Nein, nein, so geht das nicht. Wirklich nicht! Das hatten wir so nicht vereinbart.«
»Also, eigentlich sollte es gar keine ›Verpackung‹ geben. Sie hatten saubere Arbeit zugesagt. Dann ist die Entsorgung jetzt auch Ihr Problem.«
»Aber zum Henker, bei der Ware, die wir vorgestern ausgeliefert haben, war nun mal diese Verpackung. Wer sagt mir denn, dass nicht alles auffliegt, wenn wir sie entsorgen?«
»Das ist nicht unser Problem …«
»Oh doch, jawohl, und ob das Ihr Problem ist. Denn wenn man uns am Arsch kriegt, dann gehen Sie mit unter!«
»Sie wissen ja nicht, wovon Sie da reden. Sonst hieße das, Sie sind lebensmüde. Hiermit ist dieses Gespräch beendet. Rufen Sie mich wieder an, wenn alles erledigt ist.«
»So eine verdammte Scheiße! Wer hat denn von mir verlangt …«
Klick!
KAPITEL 26
Donnerstag, 8. Februar, 21:15 Uhr
An diesem Abend kamen Erwachsene und Kinder zu spät zur Probe.
Durch den Schnee waren die Straßen so gut wie unpassierbar geworden, und der Verkehr war völlig zusammengebrochen. Um Viertel vor neun stauten sich auf den Hauptverkehrsadern stadtauswärts immer noch die Wagen der Berufstätigen, die um diese Zeit eigentlich bereits lange am Abendbrottisch sitzen sollten.
Fünfzehn Minuten nach dem offiziellen Probenbeginn hatten sich jedoch alle in der Kirche versammelt: Chorsänger, Organist und Maestro.
Alle außer Ivan Della Seta, dem ersten Solisten.
Obwohl die Ölheizung hinter dem Hochaltar seit dem Vespergottesdienst gebrannt hatte, war die Luft an diesem Donnerstag im Februar so kalt, dass der Atem in der Luft kondensierte. Als die Chorsänger sich auf den Altarstufen aufgestellt hatten, saß Leonardo Coronari bereits seit einer guten halben Stunde vor dem elektrischen Keyboard, das er zu Füßen des Altars platziert hatte. Oben auf der Empore hätte er niemals spielen können - die Töne wären ihm in den Orgelpfeifen eingefroren.
Die Finger des Organisten, von halben Handschuhen geschützt, glitten ununterbrochen über die Tasten, um das Blut in Fluss zu halten.
Es war Februar, und nach einem relativ milden Januar hatte eigentlich niemand mehr erwartet, dass die Temperaturen noch einmal so tief in den Keller gehen würden. Nach einem Blick auf den Maestro beschloss der Organist, dass sie an diesem Abend das Programm etwas abkürzen und die Chorsänger früher als
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