Denn dein ist die Schuld
weiter auf Macho, und dann kriegst du es mit der Gleichstellungsbeauftragten zu tun.«
»Ich mach hier gar nicht auf Macho. Das ist nur zu deinem Besten. Mir gefällt das nicht, dass du so etwas Verrücktes tun willst.«
»Von wegen verrückt. Gesetz 228 vom 11. August 2003, über die Maßnahmen gegen Menschenhandel, die Änderung von Paragraph 660 im Strafgesetzbuch, klingelt es da bei dir? Damit sind Undercover-Missionen erlaubt. Kollegen von uns tun das jeden Tag. Sogar Journalisten, stell dir mal vor … Kollegen, die sich in das organisierte Verbrechen einschleusen … Mafia, Camorra … Warum nicht auch ich? Vielleicht, weil ich keine Eier habe?« Sandra Leonis Augen hatten sich zu messerscharfen Schlitzen verengt. »Oder meinst du etwa, ich schaffe das nicht? Nur zu, sag es ruhig. Sprich es nur aus, dann sehen wir schon, wer von uns beiden hier keine Eier hat.«
Vincenzo Marino starrte sie eine ganze Weile an. In diesem Moment war sie schön. Vor allen Dingen war sie stolz, entschlossen, mutig. Und er bewunderte sie von ganzem Herzen.
»Sandra, ich möchte, dass wir beide zusammenarbeiten. Ich möchte nicht irgendwann deine Leiche in irgendeinem Graben unter einer Brücke identifizieren müssen. Ich …«
Marino waren die Argumente ausgegangen, und er verstummte. Er machte eine Pause und fand so die Zeit, kurz darüber nachzudenken: so gesehen, warum eigentlich nur die männlichen Beamten und Sandra nicht? Auf der Matte war sie allen überlegen. Sie hatte einen schwarzen Gürtel in Karate, verfügte über ausreichend Misstrauen und Aggressivität, sogar zu viel davon.
»Okay«, gab er nach. »Wir sollten mit dem Richter über deinen Vorschlag reden. Aber denk noch mal darüber nach, einverstanden? Auf der Straße osteuropäischen Menschenhändlern hinterherjagen ist nicht das Gleiche, wie sich hier den Arsch auf dem Bürostuhl plattzusitzen und Pädophilen-Websites zu überprüfen oder dem Erwerb von illegalem Material nachzuspüren. Es bedeutet …«
»Ja, Papa, ich werd’s mir merken.«
Marino überhörte diese Bemerkung.
»Du bist gut, und es könnte auch funktionieren.«
»Das wird es ganz sicher. Es hat in Rom auch funktioniert. Erinnerst du dich an die Operation ›Gazelle‹?«
»Ach ja, die! Ich hatte keine Ahnung, dass du daran beteiligt warst. Vabbuo’ , dann weißt du also, was dich auf der Straße erwartet. Wenn du schon mal V-Mann warst, hast du bestimmt noch die Papiere deiner falschen Identität.«
»Da bräuchte ich wohl eine neue, denn meine alten sind verbrannt. Vor Gericht haben meine Kolleginnen vom Straßenstrich meinen Tarnnamen genannt. Und außerdem liegt der Fall hier anders. Wenn ich die moldawische Sklavin spielen soll, brauche ich auch moldawische Papiere, keine ukrainischen.«
»Spricht man in Moldawien nicht Rumänisch?«
»In Moldawien schon, aber nicht in Nistrien. Nein, dort spricht man Russisch. Ein wenig wie bei uns in Südtirol, wo die offizielle Sprache eigentlich Italienisch ist, aber alle Deutsch sprechen. Transnistrien, also die Gegend um Tiraspol, liegt zwischen die Republik Moldawien und die Ukraine gequetscht wie eine Scheibe Schinken zwischen zwei Toastbrotscheiben. Zum Glück gibt es diese ewig gestrigen Separatisten, die der Sowjetunion nachtrauern, denn ich spreche zwar Russisch, aber kein Rumänisch.«
»Gut. Wie ich dir gesagt habe, ich muss noch hören, was der Richter dazu sagt.« Marino klang alles andere als überzeugt.
»Ich werde in der Zwischenzeit bei den Spezialisten vorbeischauen.« Sandra wollte ihm nicht die Zeit lassen, seine Zusage zurückzunehmen. »Vielleicht haben sie ja gerade irgendwas vorrätig. Ich brauche keine wasserdichte Identität, denn ich werde ja nicht mit den Drogenbossen zu tun haben. Nur mit ein paar Hühnern im Tanga. Dann werde ich mich umhören, ob es auf der Straße jemanden gibt, der für mich den Luden machen würde.«
Marino legte sich die Hand vor die Augen.
»Leo, eins musst du mir noch verraten: Wie willst du es mit den Freiern halten? Also, du stehst auf der Straße zwischen all den Nutten, ein Auto kommt vorbei, der Freier verhandelt mit dir, und du, was machst du dann?«
»Ich steige zu ihm ins Auto, gebe ihm die Adresse eines Hotels an, sage, er soll losfahren, und bringe ihn zum Reden. Er könnte sich ja auch nur als Freier ausgeben, um mich zu überprüfen. Das machen sie oft so. Also, wenn er ein echter Freier ist, dann sage ich ihm, sobald es zur Sache gehen soll, dass ich Polizeibeamtin bin
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