Denn die Gier wird euch verderben - Thriller
sie. Aber sie muss es endlich wissen.
»Ich hatte dich für eine freie Seele gehalten, die mit dem zufrieden ist, was wir haben«, sagt er.
Als sie keine Antwort gibt, fügt er hinzu: »Ich bin ein alter Kerl. Mich willst du doch gar nicht haben.«
Aber wer hier wen nicht will, ist nur zu deutlich.
Sie fasst sich ein Herz.
»Es ist nicht ohne Folgen geblieben«, sagt sie.
Er verstummt lange. Und schon jetzt, während dieses unerträglichen Schweigens, müsste sie aufstehen und gehen. Denn wenn er sie noch lieb hätte, würde er ja wohl nicht zögern, nicht überlegen müssen. Dann würde er sie in die Arme nehmen.
Er fährt sich mit der Hand über das Gesicht.
»Ich muss fragen«, fängt er an.
Und sie denkt: Nein. Nein. Das darf er sie nicht fragen. Er darf es einfach nicht.
»Bist du sicher, dass es meins ist?«
Sie erhebt sich mit steifen Bewegungen. Weiß nicht, ob sie wüten oder weinen soll. Die Schande kneift sie mit ihren Altweiberfingern. Es sind die Leute aus dem Dorf zu Hause, die sie kneifen. Sie mit ihren schwieligen Fingern am feinen Blusenstoff packen. Die um den Sarg ihrer Mutter stehen und flüstern, die Tochter habe zugelassen, dass ihre Mutter sich zu Tode arbeitete, nur um auf dieses »Seminar« gehen zu können. Über Mädchen reden, die vom vielen Bücherlesen den Verstand verloren haben. Und im Irrenhaus gelandet sind.
Was hat sie sich denn eingebildet? Dass sie ihnen entkommen könnte? Emanzipiert! Das ist etwas für Erbinnen und adlige Fräulein. Strindbergs Worte kommen ihr in den Sinn – Jean, der in Fräulein Julie sagt: »Ach, es ist der verflixte Knecht, der mir auf dem Buckel hockt.«
Auf ihrem Buckel hockt ein Kätnerkind.
Dieses Kätnerkind hat Hjalmar Lundbohm ihr angesehen. Und er will es nicht haben. Es ist ihm ja so unangenehm. Er keucht wie ein Tier im Käfig.
»Ich gehe jetzt«, sagt sie mit aller Kälte, die sie aufbringen kann. »Aber da ist noch etwas.«
Und sie berichtet, dass Flisans Verlobter versetzt worden ist. Sie sagt, das sei ungerecht, erzählt aber nicht von Obergrubenvogt Fasth; das bringt sie einfach nicht über sich, die Schande ist zu groß. Dann fragt er sicher, ob Fasth nicht der Vater ist.
Hjalmar antwortet, es sei nicht seine Sache, sich in die Leitung und Verteilung der Arbeit einzumischen. Er wisse ja, dass Fasth hart sein könne. Aber nicht ungerecht.
Sie nickt und geht zur Tür. Es gibt nichts mehr zu sagen. Er versucht nicht, sie zum Bleiben zu überreden. Sie sehen sich jetzt zum letzten Mal. Aber das wissen sie nicht. Elina kann nicht schnell genug fortgelangen, denn jetzt kommen die Tränen.
Hjalmar Lundbohm schaut hinter ihr her und denkt, wenn er der Einzige gewesen wäre, hätte sie das doch wohl gesagt.
Elina geht nach Hause und denkt: Was soll ich tun, was soll ich tun?
Was soll ich jetzt tun?
M AJA L ARSSON WAR WACH . Rebecka lehnte ihr Fahrrad gegen die wacklige Vortreppe und schaute durch das Küchenfenster. Dort saß Maja ihrem Bekannten gegenüber am Küchentisch.
Sie könnten fast Geschwister sein, dachte Rebecka, als sie die beiden im Profil einander gegenüber am Tisch sah. Maja mit ihrer zu tausend Zöpfen geflochtenen Silbermähne. Auch er hatte eine Mähne in der gleichen Farbe, aber die Haare fielen ihm ab und zu in die Augen.
Sie klopfte. Nach einer kleinen Weile rief Maja: »Komm rein.« Da war sie allein in der Küche.
»Rebecka«, sagte Maja und wies einladend auf den Küchentisch. »Und ein Hund. Wie nett.«
»Entschuldige«, sagte Rebecka. »Ich wollte ihn nicht verjagen, wie heißt er eigentlich?«
»Ach, kümmer dich nicht um Örjan. Der ist menschenscheu. Möchtest du Kaffee? Oder ein Bier?«
Rebecka schüttelte den Kopf und setzte sich.
»Entschuldige«, sagte sie noch einmal. »Entschuldige, dass ich so abweisend war, als du über meine Mutter sprechen wolltest. Ich bin nur, ich weiß nicht …«
»Schon verstanden. Besser, als du ahnst«, sagte Maja und schüttelte eine Zigarette aus der Packung.
»Wie geht es deiner Mutter?«
»Mein Mütterchen. Ich glaube, sie wird erst sterben können, wenn ich gelernt habe, zwischen meinem Willen und meiner Hoffnung zu unterscheiden.«
»Wie meinst du das?«
»Ach, das klingt so pathetisch. Ich bin fast sechzig. Aber hier drinnen …«
Sie zeigte energisch auf ihren Brustkorb und starrte Rebecka in die Augen.
» … gibt es ein kleines Mädchen, das will, dass sie etwas sagt, ehe alles zu spät ist.«
»Was denn?«
»Ach, nur irgendeine
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