Denn ewig lebt die Liebe
Innenstadt. Jetzt jedoch hatten sie einen Familienhund. So etwas gab es nur auf dem Land, ein Vorteil, den die Fünfzehnjährige in dem Moment so richtig zu schätzen wußte, als sie neben Admiral auf dem Teppich lag und ihre Hände in seinem langen zotteligen Fell vergrub.
* * *
Natja Hofmann hatte ihren ersten Freund gefunden in Haselheide. Es war reiner Zufall gewesen, dass sie auf dem Heimweg von der Bushaltestelle ausgerechnet ihm begegnet war - Kapitän Störtebeker.
Bei beiden war es fast so etwas wie Liebe auf den ersten Blick gewesen. Der alte Kapitän wirkte auf Natja wie ein Großvater, den sie sich immer so sehr gewünscht hatte. Und Kapitän Störtebeker mochte das hübsche Mädchen schon eine ganze Weile, hatte es aus der Ferne beobachtet, weil es ihn an seine einzige Tochter Merja erinnerte, die in Amerika verheiratet war und zu der er so gut wie keinen Kontakt mehr hatte. Deshalb lag es auch nahe, dass der Kapitän Natja fragte, ob sie ihm nicht beim Ausräumen des alten Hauses helfen wolle. Er hatte nur noch eine Woche Zeit, die Sachen auf die Straße zu stellen, die in den Sperrmüll kommen sollten.
Natürlich sagte Natja begeistert zu. Endlich tat sich einmal etwas in diesem langweiligen Ort. Zwar hatte sich die Fünfzehnjährige schon ein bißchen eingewöhnt, nur mit den Bekanntschaften haperte es noch ziemlich. Immer öfter dachte sie mit Sehnsucht an ihre vielen Freundinnen, die sie in Heidelberg gehabt hatte.
Sie trafen sich am Nachmittag nach den Schularbeiten bei dem alten Haus. Fast hätte Natja Kapitän überhaupt nicht aus wie ein Kapitän. Er hatte eine blaue Arbeitshose an mit breiten Hosenträgern, und die Kapitänsmütze fehlte auch auf seinem dichten Störtebeker gar nicht erkannt, denn heute sah er schlohweißen Haar.
"Hallo", grüßte Natja und stellte ihre Plastiktüte ab. "Ich hab ein bißchen Verpflegung mitgebracht, die Frau Blatt für uns gerichtet hat. Hoffentlich mögen sie kaltes Huhn."
Der Kapitän schmunzelte in sich hinein und versicherte eifrig, dass er sich das schon lange gewünscht habe. Insgeheim aber war ihm etwas mulmig zumute, denn er hatte den Verstorbenen doch mehr ins Herz geschlossen gehabt als gedacht. Wenn er sich jetzt vorstellte, dass er in dessen persönlichen Sachen herumkramen und womöglich das meiste wegwerfen sollte, fühlte er sich wie ein Verräter. Doch diese Gefühle durfte er als alter Seebär nicht zulassen, deshalb lenkte er sich mit anderen Gedanken ab, so gut es ging.
Es war ein schweres Stück Arbeit, das Haus auszuräumen. Zwar gab es keine großen, unhandlichen Möbel mehr, die hatte Max Berger längst hinausgeworfen. Doch das, was wohl einmal in den Schränken gewesen war, lag ziemlich durcheinander in großen Schachteln, die in einigen Räumen nur so gestapelt übereinander standen.
Alles musste ausgepackt und gesichtet werden. Das war sehr zeitaufwendig, und vor allem bekam man Kreuzschmerzen vom langen Stehen. "Manche Dinge sind fast zu schade zum Wegwerfen", stellte der Kapitän fest. "Vielleicht sollte man versuchen, die Sachen zu spenden. Doch wer kann solchen Krimskrams schon gebrauchen?" Fragend blickte er das Mädchen an.
"Bei uns in der Schule haben wir mit solchen Dingen zweimal im Jahr einen Flohmarkt veranstaltet und alles verkauft. Das Geld, das wir dafür bekommen haben, wurde an eine soziale Organisation gespendet, ein Teil für ein Waisenhaus und ein Teil für den Tierschutzverein. Doch hier wird das sicher nicht klappen. So etwas geht nur in der Stadt", fügte Natja sehnsüchtig hinzu.
"Dir gefällt es wohl gar nicht in Haselheide, hab ich Recht?" Der Kapitän legte einen Arm um die Schultern des Mädchens. "Du bist eine Großstadtpflanze, die sich in unserer Einsamkeit nie wohlfühlen wird."
Heftig schüttelte das Mädchen den Kopf. "Das ist bestimmt nur eine Zeit der Umstellung", versicherte Natja. "Freundschaften kann man eben nicht von heute auf morgen schließen", wiederholte sie die Worte ihres Vaters. "Doch jetzt bin ich auf dem besten Weg dazu."
"Dann ist es ja gut." Der Kapitän widmete sich wieder seiner Arbeit. Eine ganze Zeitlang räumte jeder schweigend in einer Ecke des Raumes. "Es wäre schade, wenn du dich durch die Jahre quälst bis du für dich selbst entscheiden und wieder in die Stadt zurückkehren kannst."
"So weit mag ich nicht denken", sagte Natja und lächelte ein bißchen. "Ich versuche, dem Landleben etwas abzugewinnen, und manchmal hab ich das Gefühl, ich könnte es
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