Denn mein ist deine Seele: Psychothriller (German Edition)
sie darunter gelitten hat, dass Sie aus England weggezogen sind?«
»Gelitten? Im Gegenteil. Sie hat die Rückkehr nach Amerika als Chance gesehen, als Gelegenheit, sich eine neue Persönlichkeit zuzulegen.«
»Dass sie diese Chance genutzt hat, heißt noch nicht, dass sie es als echte Chance empfindet. Sie hat sechs Jahre lang in London gelebt, Mrs. Benedict, fast ihre ganze Schulzeit lang. Sie hat Heimweh.«
»Hier ist doch ihr Zuhause.«
»Für Sie.«
Eigentlich nicht, ich habe nicht so viele Freundinnen wie Iso.
»Uns hat sie jedenfalls nichts davon gesagt.«
»Das dachte ich mir. Und ohne das hier wüsste ich vielleicht auch nicht, wie sehr sie London vermisst.«
Die Direktorin reichte Eliza das beschlagnahmte iPhone, das die zuletzt gewählten Nummern anzeigte. Alle begannen mit der Vorwahl 01144 für England.
»Aber … sie kann doch von zu Hause aus anrufen. Peter hat auf seinem Computer Skype installiert. Das hätte sie benutzen können. Wir ermuntern sie sogar dazu, Kontakt zu ihren Freundinnen zu halten.«
»Mag sein, aber dann hätte sie Ihnen sagen müssen, wen sie anruft oder wem sie schreibt.«
»Wäre das ein Problem gewesen?«
»Sie hat ziemlich eindeutige SMS geschrieben. Nicht pornografisch, das wäre übertrieben, aber doch anzüglich. Und der Junge ist siebzehn«, sagte die Direktorin. »Iso glaubt, Sie hätten etwas dagegen.«
»Siebzehn? Und ob ich etwas dagegen habe.« Sie merkte, dass sie zu laut wurde, aber sie konnte nicht anders. Ihre Gedanken überschlugen sich, sie überlegte, wer der Junge war und woher Iso ihn kennen mochte. Iso musste sich geschickt angestellt haben, denn wenn Albie etwas gewusst hätte, hätte er sich verplappert, egal wie sehr er Iso gefallen wollte. Was hatte Eliza noch neulich zu Peter gesagt? Iso kann sehr gut Geheimnisse für sich behalten – ihre eigenen.
»Sie hat ihm von den Schulcomputern aus über Facebook geschrieben«, erklärte die Direktorin. »Iso wusste, wie man unsere Firewall umgeht – man muss nur ein ›s‹ an die http-Adresse hängen –, aber sie hat nicht gemerkt, dass sie eine Spur hinterlässt, auch wenn sie den Cache leert. Deswegen hat sie in diesem Schuljahr schon einmal eine Standpauke bekommen, und sie hat den Leiter der Mediathek angefleht, sie nicht zu melden. Damals waren die Mails und Nachrichten ziemlich unverfänglich, deswegen haben wir die Sache auf sich beruhen lassen.«
»Als wir hierhergezogen sind, habe ich Iso sogar gefragt, ob sie sich bei Facebook anmelden will. Sie meinte, Facebook sei lahm.«
»Sehr geschickt, das muss man ihr lassen. Deshalb sind Sie gar nicht auf die Idee gekommen, sie dort zu suchen.«
»Ich habe da noch niemanden gesucht. Ich halte nicht viel von diesen sozialen Netzwerken.«
Die Direktorin lächelte zustimmend. »Wissen Sie, wir mussten Iso suspendieren. Diebstahl nehmen wir nicht auf die leichte Schulter. Aber ich glaube, die Vorfälle in der Schule sind nur eine Begleiterscheinung der Wut, die sich in ihr aufgestaut hat. In Gedanken spielt Iso mit Hingabe Romeo und Julia. Ich schätze, dass ihr der Junge erst wichtig ist, seit ein ganzes Meer zwischen ihnen liegt. Iso geht es nicht um Sex. Sie ist fasziniert von der Liebe, wie die meisten Schülerinnen. Wenn ein Junge aus Fleisch und Blut, wenn dieser Junge plötzlich vor ihrer Tür stehen würde, wüsste sie nicht, was sie mit ihm anfangen sollte. Wen haben Sie in Ihrer Jugend angehimmelt?«
»Ich habe Madonna gehört.«
»Nein, ich meine einen harmlosen Schwarm, einen Jungen, von dem Sie in Isos Alter geträumt haben.«
»Ernsthaft?« Bevor Eliza antwortete, musste sie lachen. »George Michael in seiner Wham-Phase. Noch harmloser geht es kaum.«
»Stimmt. Bei mir war es Tito Jackson. Alles ganz harmlos, genau wie diese Biss-Romane. Meiner Erfahrung nach kennen die meisten Mädchen ihre Grenzen sehr genau, besonders kluge Mädchen wie Iso. Sie finden Möglichkeiten, Sex und Liebe kennenzulernen, ohne sich in Gefahr zu bringen. Mir tut nur leid, dass Iso es so weit getrieben hat.«
»Mir auch«, sagte Eliza.
»Ich will ja nicht neugierig sein, aber – reden Sie mit Ihrer Tochter über solche Dinge?«
»Meinen Sie Sex?«
»Nein, der Teil mit den Blümchen und Bienchen ist einfach. Ich meinte Liebe.«
»Liebe? Romantische Liebe? Ich weiß nicht. Wahrscheinlich sind wir manchmal auf das Thema gekommen, wenn wir Märchen gelesen haben. Ich habe mich im Studium mit Kinderliteratur beschäftigt. Ich wollte nicht, dass Iso
Weitere Kostenlose Bücher