Denn mein ist deine Seele: Psychothriller (German Edition)
weil sie hoffte – tja, worauf? Einen kurzen Blick auf sie werfen zu können? Auf eine Konfrontation? Könnte sie wirklich auf die Frau zugehen und sie fragen, warum sie Trudy nicht angerufen hatte? Es war erst etwa eine Woche vergangen. Aber Trudy war überzeugt davon, dass Elizabeth sie innerhalb der ersten vierundzwanzig Stunden angerufen hätte, wenn sie hätte reagieren wollen. Warum ignorierte sie Trudy?
Von den Fahrten hatte sie Terry nichts erzählt. Er hätte sie ihr nicht verboten, aber er hätte sie auch nicht gutgeheißen, und seine Zustimmung war ihr zum Teil immer noch wichtig. Zum Beispiel verbarg sie ihr Rauchen wieder vor ihm und tat weiter so, als würde sie ihr Lipitor nehmen. Wann, wenn überhaupt, würde sie mit ihren Tricks wohl auffliegen? Falls Terry sie zur Rede stellte – schwer vorstellbar, aber ein paarmal war es in ihrer Ehe doch dazu gekommen –, würde sie einfach behaupten, sie sei schließlich eine Frau und jünger als er und wolle nur bei den Lebensrisiken aufholen. Sie hatte genug davon, Leute zu überleben, hatte den Eindruck, jeden überleben zu müssen – ihren Mann, ihre Söhne, ihre Enkel.
Nur bei Walter Bowman freute es sie.
Dem Staatsanwalt zufolge würde er auf keinen Fall noch einmal einen Aufschub bekommen. Pro forma würden vielleicht in letzter Minute ein paar Anträge gestellt und eine Erklärung gegen die Todesstrafe eingereicht werden, aber das war nicht mehr als ein symbolischer Protest, typische Anwaltsarbeit. Trotzdem hatte es sie beunruhigt, dass ein Häftling letzten Monat einen Aufschub bekommen und der Oberste Gerichtshof eingewilligt hatte, seine Eingabe zu überprüfen. Aller guten Dinge sind drei, hatte Terry bitter gesagt.
Es sei denn, Elizabeth Lerner hätte noch etwas in der Hinterhand. Warum sollte sie sonst mit Walter reden? Vielleicht wollte sie ihm mit großem Tamtam vergeben, sich öffentlich gegen die Todesstrafe aussprechen und Terry und Trudy als die Bösen hinstellen.
Mit raschen Schritten begann Trudy ihre Runde durch das Viertel. Niemand beachtete sie. Es war lange her, dass sie Aufmerksamkeit erregt hatte, und sie redete sich gern ein, gut damit zurechtzukommen. Nach der frühen Heirat waren die ersten drei Schwangerschaften so rasch aufeinandergefolgt, dass sie schon in den Zwanzigern das Gefühl gehabt hatte, zum alten Eisen zu gehören. Als Holly in die Pubertät kam, war Trudy Ende dreißig und blühte ein zweites Mal auf. Obwohl Holly zu dieser Zeit immer mehr sexuell gefärbte Aufmerksamkeit erntete, betrachtete Trudy ihre Tochter nicht als Konkurrenz. Ganz im Gegenteil. Durch Holly strengte sie sich mehr an, wie beim Tennis mit einer guten Partnerin, und sie achtete mehr auf ihr Äußeres. Ihre Ehe bekam neuen Schwung, besonders als Holly manchmal bei Freundinnen übernachtete und sie und Terry das Haus für sich hatten, zum ersten Mal seit – seit den ersten neun Monaten ihrer Ehe, bevor Terry III . kam. Obwohl Trudy im Grunde Demokratin war, hatte sie sich in Reagans Amerika, in Middleburg, sicher gefühlt. Dem Land ging es gut, und die schlimmen Dinge – der Libanon, Hungersnöte, der Unabomber, das Erdbeben in Mexiko-Stadt, Leon Klinghoffer – schienen so weit weg zu geschehen. Oder wie bei Aids vom eigenen Verhalten abzuhängen. Terrys Blicke waren die einzigen, die sie anziehen wollte.
Nach Hollys Tod wurde Trudy beinahe zu sichtbar, jeder erkannte und bemitleidete sie, wohin sie auch ging. In Alexandria tauchte sie dankbar in die Anonymität ab. Zugegeben, sie konnte keine neuen Menschen in ihr Leben lassen, denn dann hätte sie ihre Geschichte erzählen müssen, und das hätte sie nicht ertragen. Da wäre es besser gewesen, die Mutter von einem der Opfer des Unabombers zu sein, denn dann hätte ein Wort alles erklärt. Walter Bowman fiel mit seinen Verbrechen in eine trübe Zwischenwelt. Er war nicht so berühmt, dass er einen Spitznamen hatte, wie Terry einmal meinte, nicht so wie andere Serienmörder. In Virginia erinnerte man sich noch an ihn, aber nicht an seinen Namen. Nach ihrem Umzug nach Alexandria hatte Trudy einmal versucht, einer Nachbarin von ihrem Leben zu erzählen, und die Frau war herausgeplatzt: »Mein Gott, Sie sind die Mutter von diesem hübschen blonden Mädchen.« Terry sagte, es sei doch tröstlich, dass Holly so in Erinnerung blieb, aber es war nicht Holly, woran sich die Leute erinnerten. »Hübsches blondes Mädchen« traf auf so viele zu. In diesem Moment hatte Trudy erkannt, dass die Welt
Weitere Kostenlose Bücher