Denn mein ist deine Seele: Psychothriller (German Edition)
um etwas Privates zu besprechen. »Ich war das letzte Mädchen«, sagte sie. »Dich hätten sie nicht so nennen sollen. Ich war die Letzte, und er wird für das sterben, was er mir angetan hat.«
»Ach, Holly, was macht das für einen Unterschied? Letzte oder Vorletzte? Das sind doch nur Worte. Wen kümmert das?«
»Mich«, antwortete Holly. »Und du weißt, warum, auch wenn du immer so tust, als wüsstest du es nicht. Haha!«
Kapitel 4
1985
Point of Rocks. Der Name hatte ihm schon immer gefallen, er hatte ihn seit Jahren auf Schildern gesehen, aber es nie geschafft, hinzufahren. Jetzt war er dort, aber der Ort unterschied sich kaum von den anderen Städten am Potomac. Nicht einmal von seiner eigenen Stadt daheim in West Virginia. »Fast wie im Himmel« stand auf den Nummernschildern, und dem musste Walter zustimmen. Trotzdem fuhr er gerne herum und wünschte sich, er könnte mehr von der Welt sehen.
Als er klein gewesen war, nicht älter als vier oder fünf, war sein Vater mit ihm nach Friendsville in Maryland gefahren, von wo aus man drei Staaten sehen konnte – Maryland, West Virginia, Pennsylvania. Enttäuscht hatte er festgestellt, dass die Gegend nicht markiert war, wie eine Karte oder ein Quilt, und dass man keine Grenze zwischen den Staaten erkennen konnte. Er hatte zu seinem Vater gesagt, es wäre doch schön, wenn sie nach Westen fahren könnten zu den Four Corners, von denen seine ältere Schwester erzählt hatte.
»Wenn das Wörtchen wenn nicht wär’«, hatte sein Vater gesagt. Das war einer seiner Lieblingssprüche. Von Urlaub hielt er nichts. Jahre später, als Walter in der Werkstatt seines Vaters mitarbeitete und merkte, wie gut die Geschäfte liefen, fühlte er sich ein wenig betrogen. Sie hätten verreisen und sich etwas mehr gönnen können. Vielleicht nicht den ganzen Weg nach Westen, aber zu diesem großen Vergnügungspark in Ohio mit der höchsten Achterbahn der Welt. Oder sein Vater hätte Walter, seine Mutter und seine Schwester in den Urlaub schicken können, wenn er wirklich der Ansicht war, er könne die Werkstatt nicht für sieben Tage schließen oder in der Obhut eines seiner Angestellten lassen. Walter war nur ein Mal weggefahren, nach Abschluss der Highschool. Die Fahrt war nach Ocean City in Maryland gegangen, und es war ihm vorgekommen, als hätte er mehr Zeit im Bus als in der Stadt selbst verbracht.
Jetzt arbeitete Walter für seinen Vater und bekam auch keinen Urlaub, nur sonntags und mittwochs hatte er frei. Was sollte er mit diesen einzelnen Tagen anfangen? Heute war Sonntag, und er überlegte schon, umzudrehen und nach Hause zu fahren. Schließlich schrieb kein Gesetz vor, dass ein Mann an seinem freien Tag etwas unternehmen musste, keine Regel besagte, dass er den Tag nicht vor dem Fernseher verbringen konnte, bevor er das Abendessen mit seiner Familie genoss. In letzter Zeit ließ seine Mutter manchmal Andeutungen fallen, er könne sich eine eigene Wohnung suchen und ausziehen, aber noch ignorierte er sie. Er wollte nur von zu Hause weg, um mit jemandem zusammenzuziehen und ein eigenes Heim zu gründen. Moment mal – war das vielleicht sein Problem? War es für ihn so schwer, Frauen kennenzulernen, weil er sie nicht nach Hause mitnehmen konnte? Es kursierten reichlich Witze über Männer, die bei ihren Eltern lebten, aber bislang hatte er sich nicht angesprochen gefühlt. Er arbeitete in der Werkstatt seines Vaters. Warum sollte er nicht zu Hause bleiben, bis er sich ein richtiges Haus leisten konnte, nicht nur ein winziges Apartment, das man pro Woche mietete, mit einer Herdplatte und einem Minikühlschrank? In einem einzigen Zimmer zu wohnen war doch kein echtes Leben. Er würde auf das wahre Leben warten. Die große Liebe, ein richtiges Haus, Teilhaberschaft bei seinem Vater. Er hatte seinen Vater schon gefragt, warum sie den Namen Autowerkstatt Bowman nicht zu Bowman und Sohn ändern konnten. Seine Schwester, die mittlerweile verheiratet war, aber noch in der gleichen Straße wohnte, hatte gemeint, das klänge nicht gut, und sein Vater hatte geantwortet, es sei ihm zu teuer, das Schild und die Drucksachen auszuwechseln, und als Walter gesagt hatte, das Schild würde doch reichen … – Moment, war das ein Mädchen?
Ja, war es, ein großes, gut gebautes Mädchen, überzogen mit einem Hauch von Gold, ihr Haar und ihre Haut verschmolzen beinahe mit den Getreidefeldern links und rechts der Straße. Sie ging etwas komisch, mit langen Schritten, aber sie war sehr
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