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Denn mein ist deine Seele: Psychothriller (German Edition)

Denn mein ist deine Seele: Psychothriller (German Edition)

Titel: Denn mein ist deine Seele: Psychothriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Lippman
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Woche trafen sie sich allerdings im Haus ihrer Eltern zum Abendessen, einem alten Farmhaus, das 1985 noch zu einem ländlichen Dörfchen im Westteil von Howard County gehört hatte. In ihrer Straße fühlte man sich wie auf dem Land, auch wenn von allen Seiten Neubaugebiete näher rückten. Inez kamen diese neuen Häuser wie Schlachtschiffe vor, die sich in einem Hafen sammelten, bereit für den Angriff. Über die hohen Strommasten, die in der Ferne aufragten, schüttelte sie sich voller Abscheu, obwohl sie nicht an die angeblichen Gesundheitsrisiken glaubte. Sie fand sie einfach hässlich. »Stell dir mal vor, wie Don Quichotte darauf reagiert hätte«, sagte sie oft.
    Trotzdem hatten die Lerners nicht lange gezögert, hierherzuziehen und ihr geliebtes Haus in Roaring Springs zu verlassen, damit Eliza eine andere Highschool besuchen konnte. Die Wilde Lake Highschool im Nachbarbezirk hatte gerade weit genug entfernt gelegen, damit eine neue Schülerin, die sich Eliza nannte, keine Assoziationen hervorrief. Hätte sich allerdings jemand aus dem alten Schulbezirk hierher versetzen lassen, wäre Elizas Identität aufgeflogen. Ihre Eltern hatten ihr mehrfach erklärt, dass es bei diesen Veränderungen nicht um Scham oder Geheimnisse ging. Sie waren umgezogen, weil sie alle ihr altes Viertel mit düsteren Erinnerungen verbanden, weil ein Teil von dem, was sie dort so geliebt hatten – der Bach, die bewaldeten Hügel, das Gefühl der Einsamkeit –, befleckt war. Über die Dinge, die sich draußen in der Welt getan hatten, sprachen sie nicht, weil die Welt nichts zu Elizas Heilung beitragen konnte. Wäre Eliza zu ihren Freundinnen an die Catonsville Highschool zurückgekehrt – was sie selbst entscheiden musste, wie ihre Eltern betonten –, wäre man sicher rücksichtsvoll mit ihr umgegangen, daran hatten sie keinen Zweifel. Zu rücksichtsvoll. Sie wollten nicht, dass ihre Tochter in Watte gepackt wurde, dass die Menschen in ihrer Umgebung aufpassten, was sie sagten, und bei bestimmten Gesprächen plötzlich in verdächtiges Schweigen verfielen, wenn Eliza unvermutet auftauchte. Ein neues Haus, ein neuer Anfang. Für sie alle. Ein neues Haus mit einer Alarmanlage und einer zentralen Klimaanlage, die Inez scheußlich fand, weil sie nicht mehr bei offenem Fenster schlafen konnten.
    Iso und Albie liebten das Haus ihrer Großeltern mit all den faszinierenden Dingen, die sich bei Großeltern immer finden ließen. Aber die echte Verlockung war für sie das Softeis im nahe gelegenen Rita’s. Als sie mit ihrem Großvater zu einem Nachtisch losgezogen waren, erzählte Eliza ihrer Mutter von Walters Brief.
    »Was willst du machen?«, fragte sie.
    »Nichts«, antwortete Eliza.
    »Nichts zu tun ist auch eine Reaktion«, sagte Inez. »Wenn man nichts tut, tut man trotzdem etwas.«
    »Ich weiß.«
    »Davon gehe ich aus.«
    Sie saßen auf der eingefassten Veranda hinter dem Haus, deren Aussicht sich kaum verändert hatte, seit die Lerners dort wohnten. Sie hatten das Haus schnell gekauft, beinahe instinktiv, einen Monat nach Elizas Rückkehr. Es war größer als das Steinhaus aus dem achtzehnten Jahrhundert, das sie aus Roaring Springs kannten, und in beinahe jeder Hinsicht besser ausgestattet: neuere Bäder, großzügiger bemessene Zimmer. Aber als Vonnie in den Weihnachtsferien mit übler Laune nach Hause gekommen war, unzufrieden mit ihrer Leistung im ersten Studienquartal an der Northwestern University, hatte sie einen Wutanfall bekommen, weil ihre Eltern sie bei einer so wichtigen Familienangelegenheit nicht gefragt hatten. Vonnie hatte schon immer zu dramatischen Auftritten geneigt, auch wenn sie kaum Grund dazu hatte, und ihre Familie war an das Schauspiel mehr oder minder gewöhnt.
    Aber niemand, nicht einmal so gut ausgebildete Psychiater-Eltern wie die Lerners, wäre darauf gefasst gewesen, dass ihre ältere Tochter sagte: »Von jetzt an dreht sich doch alles nur noch um Elizabeth – Entschuldigung, Eliza .«
    Dieser Spruch fiel beim Abendessen, und er war auf so vielen Ebenen schlichtweg falsch, dass sekundenlang niemand etwas sagte. Schon sachlich gesehen war er falsch, weil die Lerners gerade eine Welt erschaffen wollten, in der sich weder alles darum drehte noch nicht darum drehte, was Eliza geschehen war. Außerdem waren sie immer gerecht gewesen und hatten nie eine Tochter der anderen vorgezogen, sondern deren Unterschiede respektiert. Vonnie war ihre neurotische Überfliegerin. Eliza hatte schon als Elizabeth zu den

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