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Denn mein ist deine Seele: Psychothriller (German Edition)

Denn mein ist deine Seele: Psychothriller (German Edition)

Titel: Denn mein ist deine Seele: Psychothriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Lippman
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bemerkenswertes Ereignis war. Sie war Psychiaterin, aber auf einem spannenden Gebiet: Sie arbeitete mit Straftätern in einem besonderen Gefängnis für Geisteskranke. Zu Elizabeths Enttäuschung redete sie nie über ihre Arbeit. Elizabeth hätte zu gerne etwas über die Männer erfahren, mit denen ihre Mutter zu tun hatte, und darüber, was sie getan hatten. Sie war sich relativ sicher, dass ihre Mutter im Moment mit einem Jungen arbeitete, der seine Eltern, seine Adoptiveltern, umgebracht hatte, und das nur, weil sie ihn nach seinem Ergebnis in einem Test gefragt hatten. Er sah ganz gut aus; Elizabeth hatte sein Foto in der Zeitung gesehen. Aber ihre Mutter achtete peinlich darauf, nie über ihre Fälle zu sprechen. Ihr Vater war ebenfalls Psychiater und erzählte auch nie von seiner Arbeit, aber er saß ja nur den ganzen Tag in seiner Praxis und hörte Teenagern zu. Elizabeth war überzeugt davon, dass sie schon alles wusste, was ihr Vater wusste, wenn nicht mehr.
    Ihre Freundinnen fanden die Arbeit ihrer Eltern seltsam und unheimlich. Sie glaubten, die Lerners könnten Gedanken lesen, was albern war, oder leichter Lügen durchschauen als »normale« Eltern. »Sie können doch nicht hexen«, widersprach Elizabeth ihnen.
    In mancher Hinsicht ließen sich ihre Eltern leichter täuschen als andere. Elizabeth erzählte ihnen so viel, dass sie gar nicht auf den Gedanken kamen, ihre Tochter könnte ihnen etwas verschweigen. Natürlich sprach Elizabeth größtenteils über ihre Freundinnen – über Claudia, die mit ihrem Freund schlafen wollte, als ihre Eltern einmal über das Wochenende verreisten, über Debbie, die mit Bier und Gras experimentierte, und über Lydia, die beim Ladendiebstahl erwischt wurde. Wenn sie diese Geschichten erzählte, erkundigten sich ihre Eltern stets behutsam, ob sie selbst darin verwickelt war, und Elizabeth konnte jedes Mal mit reinstem Gewissen verneinen. Dadurch fiel es ihr leichter, für sich zu behalten, was sie nicht erzählen wollte. Zum Beispiel, dass sie nach zu viel Essen versuchte, sich zu übergeben. Das war nicht gut, das wusste sie, aber sie wusste auch, dass es nur dann zu einem Problem wurde, wenn man nicht mehr aufhören konnte. Und weil es ihr noch nie gelungen war, sich tatsächlich zu übergeben, war es doch sicher nicht schlimm, dass sie es versucht hatte. Claudia meinte, sie sollte eine Feder oder eine Borste von einem Besen nehmen, wenn sie den Finger nicht weit genug in den Hals bekam, aber das war eklig. Wenn sie nur an eine Feder dachte, wurde ihr schlecht, aber durch die Feder selbst nicht. War das seltsam? Wahrscheinlich. Elizabeth sorgte sich oft, sie könnte seltsam sein. Im Gegensatz zu Vonnie wollte sie nie auffallen, wollte keine große Aufmerksamkeit erregen. Sie wollte normal sein. Sie wollte nur, dass ein einziger Junge sie so ansah wie, wie – wie Bruce Springsteen in diesem Video, wenn er unter dem Auto hervorrollte und wusste, dass die Frau vor ihm nichts für ihn war, und er sie trotzdem wollte.
    Keine ihrer Freundinnen wohnte in der Nähe. Sie wohnten auf der anderen Seite der Frederick Road in Häusern, in die Elizabeths Mutter im Leben nicht einziehen würde, um eine ihrer Lieblingsfloskeln zu nennen. Da würde ich im Leben nicht wohnen, da würde ich im Leben nicht einkaufen, da würde ich im Leben keinen Urlaub machen. Schließlich hatte Vonnie gefragt: »Willst du im Leben überhaupt irgendwas machen?« Seit dieser Frage rissen sie Witze darüber und zählten auf, was sie alles im Leben machen wollten. Trotzdem hegte ihre Mutter eine tiefe Abneigung gegen alles Moderne. Sie hatte in ihrem Haus in der Stadt bleiben wollen, das nahe der Innenstadt gelegen hatte, an einem hübschen grünen Platz rund um das Washington Monument. Aber etwa zur Zeit von Vonnies vierzehntem Geburtstag hatte Elizabeths Vater eine Möglichkeit gesehen, eine Praxis in den Vororten zu eröffnen, wo die Eltern eher geneigt waren, Hilfe für ihre Kinder zu suchen. Und wo sie, was auch nicht unwichtig war, dafür bezahlen konnten. Der Kompromiss lautete Roaring Springs, dreißig Minuten von der Arbeitsstelle ihrer Mutter am Patuxent Institute und keine zehn Minuten von der Praxis ihres Vaters in Ellicott City entfernt. Dass er tagsüber so nah war, verschaffte Elizabeth an diesen Sommertagen Freiheit. Aber die reichte nicht weit, wenn man allein war und so viele Regeln beachten musste.
    Sie kehrte zu dem Park zurück und spazierte am Sucker Branch entlang, einem kleinen

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