Denn mein ist deine Seele: Psychothriller (German Edition)
noch, wie schrecklich Vonnie das Haus anfangs fand?«, fragte Eliza ihre Mutter. »Jetzt bekommt sie schon einen Anfall, wenn ihr nur überlegt, euch zu verkleinern.«
»Ich glaube, ein paar Jahre haben wir noch, toi, toi, toi.« Inez klopfte mit den Knöcheln auf einen kleinen, rustikalen Tisch, auf dem ihre Gläser mit einer Mischung aus Tee und Limonade standen. Was für die meisten Menschen ein Arnold Palmer und in den koreanischen Imbissläden in Baltimore ein Halb und Halb war, hatten die Lerners schon immer »Sonnenschein« genannt. Auf einem behelfsmäßigen Campingplatz in West Virginia hatte Eliza, damals noch Elizabeth, Walter gezeigt, wie er gemacht wurde. Erst, wie man den Tee zubereitete, indem man ihn in einem Krug in die Sonne stellte, dann die selbst gemachte Limonade aus nichts weiter als Zitronen, Wasser und Zucker. Walter dachte, Saft würde aus Dosen mit gefrorenem Konzentrat kommen; die Limonade war für seinen Geschmack fast schon zu echt, zu herb. Aber gemischt mit dem Tee hatte er sie gemocht. »Wie heißt das?«, fragte er Eliza, aber sie wollte es ihm nicht verraten. »Es hat keinen Namen«, antwortete sie daher. »Das ist nur Tee mit Limonade.« »Wir sollten uns einen Namen ausdenken«, sagte er, »dann können wir das Zeug an der Straße verkaufen.« Wie die meisten von Walters Plänen war das leeres Gerede.
»Wohin wollt ihr ziehen, wenn ihr das Haus doch mal verkauft?«, fragte sie ihre Mutter jetzt.
»In die Innenstadt von Washington, ich glaube, das Viertel heißt jetzt Penn Quarter.«
»Nicht nach Baltimore?«
Inez schüttelte den Kopf. »Wir waren zu lange weg. Damit verbindet uns nichts mehr. Außerdem könnten wir in Washington wahrscheinlich beide Autos abgeben und beinahe überall zu Fuß hingehen. Zum Theater, zu Restaurants. Du kennst mich doch, bei mir heißt es alles oder nichts, Stadt oder Land, keine halben Sachen. Wenn ich nicht zusehen kann, wie mir Rehe den Garten verwüsten, will ich in tiefen, köstlichen Zügen Kohlendioxid und fauligen Müll einatmen und jeden Bettler im Viertel beim Namen kennen. Ich bin wie Eva Gabor und Eddie Albert in Green Acres .«
Eliza musste lachen, als sie sich ihre unkonventionelle, ungekünstelte Mutter als überdrehte Großstädterin auf dem Land vorstellte. Die Kinder platzten herein, auf den Gesichtern noch Spuren ihrer Lieblingseisdiele, die in Neonschrift DAS EIS ZUM GLÜCK versprach. Sie fühlte sich vollkommen sicher, wie hinter geschlossenen und verriegelten Fenstern.
Die Fenster standen offen. Das war es, was heute Abend an diesem Haus anders war. Sie freute sich für ihre Mutter, auch wenn sie sich nicht vorstellen konnte, wie sich ein solches Leben anfühlen musste.
Eliza fuhr über die gewundenen Landstraßen nach Hause, auf denen sie vor zwanzig Jahren das Autofahren gelernt hatte. Ihre Fahrlehrerin, eine Frau mit einem Pferdegesicht, hatte Eliza ständig erzählen müssen, wie beliebt sie früher gewesen sei. Unterwegs hatte sie auf die Häuser ihrer Exfreunde gezeigt und zu jedem eine kleine Biografie geliefert. Sportarten, Haarfarbe, welches Auto derjenige fuhr. Eliza wusste, dass die Fahrlehrerin das nur bei Mädchen tat, die sie für beliebt hielt, und nahm dieses seltsame Verhalten als Kompliment. Aber es wirkte auch befremdlich, wie Prahlerei, ein unangebrachtes Konkurrenzverhalten bei einer Frau, die längst über so etwas stehen sollte. Als die Fahrlehrerin sie einmal über die Route 40 fahren ließ und dabei unablässig von ihren Liebesgeschichten erzählte, hätte Eliza am liebsten gesagt: »Sehen Sie den Burgerladen da drüben, das Roy Rogers? Dahin war ich unterwegs, als ich den ersten Mann getroffen habe, der mit mir Sex hatte. Sport hat er nicht getrieben, aber er hatte dunkles Haar und grüne Augen und fuhr einen roten Pick-up. Und wenn er mit einem Mädchen Schluss machen wollte, hat er ihm meist das Genick gebrochen. Nur mir nicht. Ich war die Einzige, die er nicht umgebracht hat. Was glauben Sie, warum er das getan hat?«
»Mama?«, meldete sich Albie vom Rücksitz. »Du fährst auf der falschen Straßenseite.«
»Nein, Schatz, ich …« O Gott, er hatte recht. Entsetzt riss sie das Lenkrad stärker herum als nötig und sah nur noch etwas Weißes hinter dem Auto vorbeihuschen.
»Was war das?«, fragte Albie.
»Ein Reh«, antwortete Iso, zutiefst gelangweilt von ihrer Beinahebegegnung mit dem Tod.
»Es war aber weiß.«
»Das war der Schwanz.«
Ein Reh. Eliza war erleichtert, dass ihre
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