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Denn mein ist deine Seele: Psychothriller (German Edition)

Denn mein ist deine Seele: Psychothriller (German Edition)

Titel: Denn mein ist deine Seele: Psychothriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Lippman
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Kinder es auch gesehen hatten, denn sie war sich ebenso unsicher wie Albie, was ihrem Auto ausgewichen war. Einen Moment lang hatte sie geglaubt, es hätte ein Mädchen sein können, mit langem, weißblondem Haar. Ein Mädchen, das um sein Leben rannte.

Kapitel 6
    1985
    »Möchtegern«, sagte ihre Schwester.
    »Bin ich nicht«, widersprach Elizabeth, aber ihre Stimme ging dabei in die Höhe, weil sie nicht wusste, was Vonnie meinte, und Vonnie stürzte sich auf diesen kleinen, zuckenden Zweifel wie ihre Katze Barnacle auf eine Schlange im Garten.
    »Damit meint man Mädchen wie dich, die sich für Madonna halten.«
    »Tue ich gar nicht.«
    Insgeheim hoffte Elizabeth doch, dass sie ihr ähnelte, zumindest ein klein wenig, soweit es die Einschränkungen durch ihre Eltern erlaubten. Ihre Eltern stellten selten verbindliche Regeln auf. Vonnie gaben sie großen Spielraum – sie musste zu keiner festen Zeit zu Hause sein, allerdings sollte sie anrufen, wenn sie länger als bis Mitternacht ausbleiben wollte, und sie vertrauten darauf, dass ihre Tochter nie zu jemandem ins Auto stieg, der getrunken hatte. Aber in diesem Sommer merkte Elizabeth plötzlich, dass ihr alle möglichen Sachen verboten waren. Sie durfte sich nicht die Haare färben, nicht einmal mit einer Tönung zum Auswaschen. Oder den ganzen Tag im Einkaufszentrum oder in dem Roy Rogers an der Route 40 verbringen. (»Du kannst fernsehen, so viel du willst, du kannst lange Spaziergänge machen oder ins Schwimmbad gehen, aber nicht einfach irgendwo rumhängen«, hatte ihre Mutter erklärt.) Und die fingerlosen Spitzenhandschuhe aus dem Einkaufszentrum, in das die Mutter einer Freundin sie gefahren hatte, durfte sie zwar prinzipiell tragen, aber beim bloßen Anblick hatte ihre Mutter schon geseufzt.
    Sobald Vonnie zu ihrem Job bei einer Tagesfreizeit für unterprivilegierte Kinder gegangen war, zog Elizabeth die Handschuhe an und begutachtete sich im Spiegel. Sie hatte sich einen Streifen elastischer Spitze aus dem Nähkorb ihrer Mutter in die rötlichen Locken gebunden und ein pinkfarbenes T-Shirt mit der Aufschrift WILD GIRL übergestreift, obwohl sogar ihr klar war, dass das meilenweit an der Realität vorbeiging. Trotz des typisch schwülen Augusttags trug sie einen bauschigen schwarzen Rock über knielangen Leggings, dazu schwarze Lederstiefeletten mit Einsätzen aus künstlichem Zebrafell. Sie fand sich wunderbar. Vonnie war nur neidisch.
    Ihre große Schwester mochte sie einfach nicht, davon war Elizabeth überzeugt. Ihre Mutter hatte gesagt, das würde nicht stimmen, in diesem Alter würden sich Schwestern nie gut verstehen, aber das sei eine wichtige Entwicklungsstufe, die sie durchmachen müssten. Bei dieser Erklärung hatte ihre Mutter hoffnungsvoll geklungen, als könnten sich ihre Worte durch bloßes Aussprechen bewahrheiten. Elizabeth war jetzt fünfzehn Jahre alt, Vonnie beinahe achtzehn, und sie hatte ihr Leben mit dem deutlichen Gefühl verbracht, sie habe eine großartige Party verdorben und Vonnie sei unglücklich, seit aus dem Lerner-Trio ein Quartett geworden war.
    Elizabeth begriff nicht, warum. Vonnie erntete immer noch die meiste Aufmerksamkeit und war in allem, was sie tat, überragend, während Elizabeth im Mittelfeld mitschwamm. Vonnie war gut in der Schule, sie hatte bei der Landesmeisterschaft der NFL – nicht der National Football League, sondern der National Forensic League, also beim Hochschuldebattieren – teilgenommen und einen der ersten Plätze in der Kategorie Ad-hoc-Debattieren belegt. Es war kein Spaziergang, wenn die ohnehin streitlustige große Schwester darin geschult war, bestimmt und aus dem Stegreif über jedes Thema zu reden. Im Herbst wollte Vonnie an die Northwestern University gehen, um bei Charlton Hestons Schwester zu lernen. Natürlich war Charlton Hestons Schwester dort nur eine Dozentin unter vielen, die Schauspiel unterrichtete und jeden annehmen musste, der sich für ihre Kurse einschrieb, aber bei Vonnie klang das nach einer großen Sache: Ich gehe im Herbst an die Northwestern. Ich nehme bei Charlton Hestons Schwester Unterricht. Sie war zwar nur gut zwei Jahre älter als Elizabeth, ihr aber drei Schuljahre voraus, weil sie durch ihren Geburtstag im September früher hatte eingeschult werden können, während Elizabeths Geburtstag im Januar lag. Elizabeth machte das nichts aus. Dadurch ging Vonnie umso früher weg. Sie freute sich schon darauf, wie es war, allein zu Hause zu sein. Wenn Vonnie erst einmal

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