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Denn mein ist deine Seele: Psychothriller (German Edition)

Denn mein ist deine Seele: Psychothriller (German Edition)

Titel: Denn mein ist deine Seele: Psychothriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Lippman
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oder Verkäuferinnen ließen die Blicke von oben bis unten über ihn gleiten und verwickelten ihn in ein Gespräch. Dann zogen sie sich ebenso schnell wieder zurück. Elizabeth hatte tonnenweise darüber gelesen, was Mädchen bei Jungs falsch machten, und fragte sich, welche Fehler Jungs machten. Walter war … übereifrig. Nein, das stimmte nicht. Er war höflich, interessiert. Er versuchte, sie aus der Reserve zu locken. Aber erwachsene Frauen wandten sich von Walter ab, als würde er streng riechen.
    Elizabeths Bitte, die Schule besuchen zu dürfen, setzte Walter einen seltsamen Floh ins Ohr, und er beschloss, dass sie von jetzt an nachmittags Bibliotheken besuchen und lesen würden. Er bestand darauf, dass sie ihre Auswahl von ihm absegnen ließ. Manchmal musste sie einen Roman zurückstellen und ein Sachbuch lesen, wobei ihm offenbar nie auffiel, dass die Texte über Geschichte, Naturwissenschaften und Mathematik viel zu einfach für sie waren. Walter las meist Geschichtsbücher oder Autozeitschriften, aber irgendwann – in Fredericksburg, Virginia, glaubte Elizabeth, allerdings brachte sie die Orte immer wieder durcheinander – fand er ein hellgrünes Buch mit dem Titel Wenn das Biest die Schöne zähmt: Was Frauen wirklich wollen und fing mit großem Interesse an zu lesen.
    Wie sich zeigte, las Walter nicht besonders schnell, und obwohl sie mehrere Tage lang in Fredericksburg blieben – er hatte Arbeit bei einem privaten Umzugsunternehmen gefunden, dessen Besitzer nichts dagegen hatte, wenn Walters »kleine Schwester« ihm hinterherlief –, schaffte er in den Stunden, die ihm zur Verfügung standen, nur das erste Drittel des Buchs.
    Als sie am Ende der Woche weiterzogen, musste Walter erschrocken feststellen, dass die nächste Bibliothek das Buch nicht besaß. Und in der Bibliothek der übernächsten Stadt stand es bei den nicht ausleihbaren Büchern, für die Nutzer an der Ausleihtheke unterschreiben mussten, weil sie Bestseller waren. Er schickte Elizabeth los, um danach zu fragen.
    Sag, es wäre für deine Mutter , sagte Walter, und das tat sie, obwohl sie beinahe an ihren Tränen erstickte. Ihre Mutter hätte so ein Buch nie gelesen. Sie hätte darüber höchstens gelacht.
    Die Bibliothekarin schien nicht zu bemerken, wie aufgewühlt Elizabeth war. Sie gab ihr das Buch und sagte nur: »Für die Exemplare in der Ausleihe haben wir eine Warteliste mit mehr als fünfzig Namen.«
    Walter stahl das Exemplar, das sie bekamen, und rechtfertigte sich Elizabeth gegenüber lang und breit. »Die Bücher werden von Steuerzahlern bezahlt«, sagte er. »Ich bin Steuerzahler, und ich gehe fast nie in Bibliotheken. Warum sollte ich mir dieses eine Buch nicht nehmen?«
    »Du zahlst jetzt doch gar keine Steuern«, bemerkte Elizabeth. »Für deine Jobs wirst du immer bar bezahlt. Und in Virginia hast du auch nie Steuern gezahlt.«
    »Mehrwertsteuer«, sagte Walter. »Benzinsteuer. Ich zahle meinen Teil, und ich bekomme nichts dafür zurück. Ich bin ja nicht wie diese Frau, die mit ihrem Cadillac Essensmarken holen fährt.«
    »Das ist ein Märchen«, sagte Elizabeth, die noch wusste, wie hitzig ihr Vater bei Tisch darüber diskutiert hatte, gerade erst letztes Jahr. War das wirklich erst ein Jahr her? 1984 erschien ihr unglaublich weit entfernt. Ihre Eltern hatten natürlich Mondale unterstützt, und Elizabeth hatte eine Wahlkampfveranstaltung besucht, um vielleicht einen Blick auf Geraldine Ferraro werfen zu können. Als sie später in der Schule von ein paar der cooleren Jungs aufgezogen wurde, hatte sie zurückgerudert und behauptet, sie würde die Demokraten nicht mögen, ihre Eltern wären für Mondale, aber sie nicht. Jetzt hatte sie ein schlechtes Gewissen deswegen und wegen der vielen Male, bei denen sie ihre Eltern verraten oder verleugnet hatte. Sicher, ihre Mutter zog sich nicht wie die anderen Mütter an, und sie trug ihr Haar zu lang, offen und nicht richtig frisiert. Sie hatte es nicht verstanden, als sich Elizabeth einen Ballonrock gewünscht hatte. Sie verstand grundsätzlich nicht, warum Elizabeth irgendetwas wollte. Sie behauptete zwar, sie würde es verstehen – immerhin war sie Psychologin –, aber Elizabeth merkte, dass sie ihrer Mutter ein Rätsel war, dass sie nicht begriff, warum ihre Tochter in einer Familie aus schwungvoll lauten, unangepassten Dickköpfen unbedingt so sein wollte wie alle anderen, um ja nicht aufzufallen.
    Walter las Elizabeth abends aus dem gestohlenen Buch vor. Er fand es

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