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Denn mein ist deine Seele: Psychothriller (German Edition)

Denn mein ist deine Seele: Psychothriller (German Edition)

Titel: Denn mein ist deine Seele: Psychothriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Lippman
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Warum bellten Hunde Postboten an? »Weil es funktioniert«, hatte Peter geantwortet. »Jeden Tag bellen sie, und jeden Tag verschwindet der Postbote wieder.«
    Sie setzte sich so an den Schreibtisch im Wohnzimmer, dass sie den Garten einsehen konnte. Dieser Brief war in einer kleinen, schnörkeligen Schriftart gedruckt, durch die Barbara LaFortuny viel Text auf der Seite unterbringen konnte. Albie hatte ihn für einen Formbrief gehalten, und in gewisser Weise hatte er recht. Der Stil klang gestelzt, beinahe, als wäre der Text aus einer anderen Sprache übersetzt. Vielleicht hatte Barbara LaFortuny ihn ohne Walters Wissen geschrieben. Jedenfalls klang Walters zweiter Brief trocken, dumpf, wie seine eintönigen Aufzählungen, was er alles mit – für – Frauen tun würde, wenn sie ihn nur ließen. Nicht im Bett, sondern nette Dinge: die Tür aufhalten, ohne besonderen Anlass Blumen schicken, sich wichtige Jahrestage merken.
    Es wäre schön, dich zu sehen. Für mich natürlich, aber auch für dich, glaube ich. Ich habe dich immer gemocht. Ich habe dir nie wehgetan, nicht absichtlich.
    Wehtun war in Walters Welt offenbar ein Euphemismus für töten. Er konnte doch nicht ernsthaft glauben, er hätte ihr nichts angetan. In seinem ersten Brief hatte er geschrieben, er wolle Wiedergutmachung leisten.
    Ich glaube, ich bin nicht mehr der Mann, den du kanntest. Ich bin gebildeter. Habe viel gelesen. Ich habe darüber nachgedacht, was für ein Mensch ich war, und dieser Mensch bin ich nicht mehr. Ich empfinde echte Reue für den Schmerz, den ich den Mädchen und ihren Familien zugefügt habe. Ich bin länger hier als jeder andere, deutlich länger. In dieser Hinsicht gelte ich als frappante Ausnahme. Ich weiß ja nicht, ob du über mich auf dem Laufenden bist.
    Als wären sie alte Freunde, als hätte sie ihn auf Facebook gesucht oder gemeinsame Bekannte gefragt, wie es ihm ging. Als müsste man bei irgendetwas auf dem Laufenden bleiben. Ein Brief von Walter war für sie, als hätte ein vertriebener Einwohner von New Orleans ein Telegramm mit dem Absender »Katrina« bekommen. He, wie geht’s dir? Denkst du noch an mich? Das waren ganz schön wilde Zeiten, was?
    Ich weiß ja nicht, ob du über mich auf dem Laufenden bist, aber bei meinem Prozess gab es ungewöhnliche Umstände. Ein Geschworener meldete sich und gab zu, es sei im Besprechungszimmer zu verbotenen Diskussionen gekommen. Eine der Geschworenen war mit einem Anwalt verheiratet, und sie erzählte allen, ich würde in Maryland nie die Todesstrafe erhalten – das tat ich auch nicht, aber das konnte sie nicht wissen, und sie hätte nicht darüber sprechen dürfen. Also konnte man nur in Virginia einigermaßen sicher mit meiner Hinrichtung rechnen. Ich will dich nicht mit juristischen Details langweilen, aber in Virginia herrschen drakonische Gesetze, eine Berufung ist sehr schwer zu erreichen.
    Frappant, drakonisch. Walter glaubte, wenn man große Wörter benutzte, würde man gebildet klingen. Sie sah direkt vor sich, wie er über der Seite »Testen Sie Ihren Wortschatz« im Reader’s Digest brütete. Gab es im Gefängnis den Reader’s Digest ? Den Washingtonian hatten sie immerhin.
    Jedenfalls haben sich meine Berufungen aus diesem und anderen Gründen lange verschleppt, mit vielem Auf und Ab und Hin und Her. Ich bin seit zweiundzwanzig Jahren hier. Der Nächste bringt es auf zehn Jahre. Damit bin ich wohl der Dienstälteste im Todestrakt.
    Das musste sie Walter lassen: Dienstältester im Todestrakt besaß einen gewissen Humor, und Walter hatte nie über sich lachen können. Wenn er so etwas schreiben konnte, musste er sich ein Stück weit geändert haben.
    Ich muss zugeben, dass ich im Laufe der Jahre oft an dich gedacht habe. Über dein Foto in der Zeitung habe ich mich gefreut, aber überrascht war ich nicht. Ich hatte erwartet, dass du ein Leben mit Partys und Fotografen führen würdest. Du hattest immer etwas Besonderes an dir, ein gewisses Funkeln.
    Ein Funkeln, aber kein Strahlen. Sie erinnerte sich, wie er langsamer gefahren war, als er Holly entdeckt und ihren Anblick in sich aufgesogen hatte. »Das Mädchen hat ein richtiges Strahlen an sich.«
    Doch auch auf die Gefahr hin, dich zu beleidigen, war ich überrascht, als Barbara – die hervorragend recherchieren kann – mir erzählte, dass du keinen Beruf ergriffen hast. Natürlich habe ich höchsten Respekt vor der Mutterrolle, und wenn mein Leben anders verlaufen wäre, wäre ich wahrscheinlich

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