Denn nie bist du allein - Crombie, D: Denn nie bist du allein - In a Dark House
Kaffee?«, fragte Bill Farrell, als er ihr einen neuen Stapel Akten hinlegte. Die anfängliche Zurückhaltung, die sie in seiner Gegenwart empfunden hatte, war im Laufe des langen Tages immer weiter geschwunden, und inzwischen hatte sie schon gar nicht mehr das Gefühl, es mit einem Vorgesetzten zu tun zu haben.
»Nein danke«, sagte sie mit einem Blick auf die leeren Becher, die sich im Zimmer angesammelt hatten. »Mit noch mehr Koffein muss ich am Ende im Zimmer hin und her laufen wie ein Hamster im Käfig, während ich diese verdammten Berichte lese.« Entnervt betrachtete sie die vielen Kartons, die sie noch durchgehen mussten, und versuchte aufzupassen, dass sie sich nicht den Staub, der an ihren Fingern klebte, in die Augen rieb.
Immerhin hatte ihnen das Foto, das Superintendent Kincaid gebracht hatte, geholfen, die Suche effizienter zu gestalten. Anfangs hatte Farrell noch alle weißen, männlichen Bewerber herausgesucht und sie Rose zur Begutachtung vorgelegt; mit Hilfe des Fotos konnte er seine Auswahl nun auf diejenigen
beschränken, die eine gewisse Ähnlichkeit mit dem von der Videokamera erfassten Mann aufwiesen.
Aber am Ende war es dann doch Rose, die auf die Akte stieß. Sie hatte sich gerade eine neue Kiste vorgenommen; Farrell war hinausgegangen, um sich noch einen Kaffee zu holen.
»Ach du Schande«, flüsterte sie, während ihr Blick von dem Bewerbungsfoto zu dem ausgedruckten Standbild und wieder zurück zu der Akte ging. Sie war wie vor den Kopf geschlagen.
Als Farrell wieder ins Zimmer kam, stand sie auf und wedelte aufgeregt mit der Akte. »Sie werden es nicht für möglich halten. Sein Name ist Jimmy Braidwood.«
»Was?« Farrell stellte seinen Kaffee so hastig zwischen den Aktenstapeln auf dem Tisch ab, dass er überschwappte, doch er achtete nicht darauf, sondern kam sofort auf Rose zu und besah sich die Akte. »Ist das Ihr Ernst? So wie der James Braidwood?«
James Braidwood war der Name des berühmten ersten Leiters der im neunzehnten Jahrhundert neu gegründeten Londoner Feuerwehr, der 1861 bei der großen Feuersbrunst in der Tooley Street ums Leben gekommen war, als eine einstürzende Mauer ihn unter sich begrub. »Genau. Obwohl es hier in der Bewerbung immer nur ›Jimmy‹ heißt und nicht ›James‹. Kein Wunder, dass der Typ so von viktorianischen Brandkatastrophen besessen ist.«
»Und Sie sind sich sicher, dass er es ist?«
Sie betrachtete noch einmal beide Fotos und verglich sie mit ihrer Erinnerung an den Mann, den sie – wenn auch nur ganz kurz – am Brandort gesehen hatte, und ihr wurde plötzlich so übel, dass sie krampfhaft schlucken musste. »Ja. Und sehen Sie mal«, fügte sie hinzu und blätterte in der Akte, »er hat sowohl die schriftliche Prüfung als auch den Fitnesstest glänzend bestanden. Es heißt hier, er sei aufgrund der psychologischen
Beurteilung abgelehnt worden. Da ist auch eine Aktennotiz von dem Mitarbeiter, der das Vorstellungsgespräch geführt hat.«
Sie las die Stelle laut vor. » Mr. Braidwood weist ein auffallendes Defizit im Bereich der Teamfähigkeit auf, die in der heutigen Feuerwehrpraxis von so entscheidender Bedeutung ist. Er legt ausgeprägte Vorurteile gegen Frauen und Farbige an den Tag und leidet meiner Ansicht nach überdies an Wahnvorstellungen über eine angebliche Verbindung zu dem legendären James Braidwood, was auf eine dissoziative Persönlichkeitsstörung schließen lässt. «
Farrell pfiff überrascht. »Du lieber Gott. Dieser Kerl ist ja ein richtiger Psychopath.«
Das flaue Gefühl, das Rose noch vor einem Moment verspürt hatte, wich einer unnatürlichen Ruhe. »Das wussten wir schon«, sagte sie mit kalter Überzeugung. Sie dachte an Bryan Simms’ zerschmetterten, verbrannten Körper.
Bill Farrell nahm ihr die Akte ab und blätterte zur letzten Seite vor. »Zur Zeit seiner Bewerbung war er bei einem privaten Wachdienst angestellt …«
»Die Uniform.« Vor Roses innerem Auge tauchte der dunkelblaue Jackenärmel auf, den sie gesehen hatte.
»Und als Privatanschrift gibt er die Blackfriars Road an. Wenn wir richtig liegen, dann hat er seine Feuer tatsächlich in unmittelbarer Nähe seiner Wohnung gelegt.«
»Und er steigert sich mit erschreckendem Tempo. Was ich nicht begreife, ist, warum er Laura Novak ermordet hat. Kann es sein, dass sie irgendwie dahinter gekommen ist, was er treibt?«
»Es gibt keine offensichtliche Verbindung zwischen ihnen.« Farrell betrachtete erneut das Foto aus dem
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