Denn nie bist du allein - Crombie, D: Denn nie bist du allein - In a Dark House
das Spirituelle an – aber in diesem Haus gab es keine Liebe.«
»Und Elizabeth?«, fragte Winnie leise.
»Sie muss schon Ende zwanzig gewesen sein, als die beiden starben. Sie kam mir immer vor wie ein Nachtfalter, der unter einem Glas gefangen ist. Blass und hilflos. Dann starb Mr. Castleman eines Nachts im Schlaf, und wenige Wochen später stürzte Mrs. Castleman auf der Treppe. Das kommt ja bei älteren Paaren häufig vor, dass sie kurz hintereinander sterben, auch bei solchen, die mehr durch lange Gewohnheit als durch
echte Zuneigung verbunden sind. Aber … ich weiß nicht. Ich ergehe mich ungern in Spekulationen – auch nicht unter diesen Umständen.«
Gemma beugte sich über das Telefon. »Roberta, hier spricht Gemma, Winnies Freundin. Ich weiß, dass Winnie Ihnen erklärt hat, dass es sich hier um polizeiliche Ermittlungen handelt und dass vielleicht das Leben eines kleinen Mädchens auf dem Spiel steht. Bitte sagen Sie uns, ob Sie sich an irgendetwas erinnern, was uns weiterhelfen könnte.«
Nach einigen Sekunden war aus dem Lautsprecher ein tiefer Seufzer zu hören. »Ich kann nur sagen, dass ich Mr. Castleman am Tag vor seinem Tod noch besucht habe, und da schien er mir bei guter Konstitution zu sein. Ich weiß, dass das noch nichts bedeuten muss; das Herz kann jederzeit plötzlich versagen. Aber … ich sehe Elizabeth noch vor mir, wie sie in der Ecke stand und ihn so durchdringend anstarrte, als wartete sie nur auf seinen Tod. Und dann, nur ein paar Wochen später, Mrs. Castleman – so ein schrecklicher Unfall. Und später, bei der Beerdigung ihrer Mutter, da könnte ich schwören, dass ich für einen Augenblick so etwas wie einen Ausdruck des Triumphs in Elizabeths Gesicht gesehen habe.«
Fanny Liu schlug die Hand vor den Mund, und Winnie ließ sich mit vor Entsetzen geweiteten Augen auf die Kante des Schreibtischs sinken.
»Sie glauben, dass sie ihre Eltern getötet hat«, sagte Gemma.
»Ich … ich hatte den Verdacht. Aber ich sagte mir, dass ich mir das alles wahrscheinlich nur eingebildet hätte, zumal der Arzt in beiden Fällen eine natürliche Todesursache festgestellt hatte. Ich wollte barmherzig sein, und so ließ ich es auf sich beruhen.«
»Roberta, was wurde aus dem Haus?«
»Ich weiß es nicht. Ich habe nicht mitbekommen, dass es verkauft worden wäre. Und Elizabeth ist nicht lange nach der Beerdigung ihrer Mutter verschwunden. Ich war immer davon
ausgegangen, dass sie aus der Gegend fortgezogen war und sich irgendwo anders niedergelassen hatte, wo keine alten Erinnerungen sie verfolgten.«
»Wo ist dieses Haus?«
»In einer Nebenstraße der Copperfield Street, beim All-Hallows-Friedhof. Ganz in der Nähe von Ihnen.«
Jason Nesbitt wohnte in einer Sozialwohnung in einem Block nahe der Kreuzung The Cut und Waterloo Road, nicht weit von der Ufford Street. Das Gebäude stammte aus den Sechzigerjahren und strahlte den entsprechenden Betonklotzcharme aus. Manche der kleinen Balkone waren ordentlich geputzt und mit Herbstblumen geschmückt, doch die meisten waren mit allerlei rostenden Haushaltsgeräten voll gestellt, die in den überfüllten Wohnungen der einkommensschwachen Mieter keinen Platz mehr gefunden hatten. Sämtliche Außenwände waren reichlich mit Graffiti dekoriert.
Sie hatten die erschütterte, aber immer noch heftig protestierende Kath Warren auf dem Revier abgeliefert, wo sie ihre Aussage wiederholen sollte, und Kincaid hatte uniformierte Verstärkung angefordert, die vor dem Mietshaus zu ihnen stoßen sollte. Wenn Kincaid Recht hatte und Jason Nesbitt tatsächlich zwei Menschen auf dem Gewissen hatte, dann würde Kincaid mit seinen Leuten auf keinen Fall ohne zusätzlichen Schutz hineingehen.
Sie fanden die Wohnung im hinteren Teil des Blocks. Die Farbe an der Tür blätterte bereits ab, und eine Ziffer der Wohnungsnummer hing schief. Es gab keine Klingel.
»Hier ist die Sanierungswelle definitiv noch nicht vorbeigekommen«, murmelte Cullen. Ein sicheres Zeichen, dass er nervös war.
Kincaid hämmerte an die Tür. Er hatte damit gerechnet, dass Nesbitt entweder überhaupt nicht oder nur widerstrebend öffnen würde, da er sich schließlich in einer Art und Weise aus
dem Frauenhaus verabschiedet hatte, die auf Fluchtgedanken schließen ließ. Kincaid hatte einen der uniformierten Beamten hinters Haus geschickt, um den Balkon und die Fenster zu überwachen, und er war fest entschlossen, vor der Tür zu warten, bis sie einen Haftbefehl erwirkt hätten, falls
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