Denn nie bist du allein - Crombie, D: Denn nie bist du allein - In a Dark House
Tötungsdelikt, und als die Suche nach dem Eigentümer des Hauses eine Holdinggesellschaft zu Tage gefördert hatte, an der Michael Yarwood beteiligt war, hatte es ihr gleich in den Fingern gekribbelt. Ein politisch brisanter Fall, gewiss –
Michael Yarwood war eine bedeutende Figur in Southwark -, aber auch einer, der ihrer Karriere kräftig auf die Sprünge helfen konnte.
Dann hatte der Chief Superintendent sie in sein Büro gerufen und ihr mitgeteilt, dass auf höchster Ebene darum gebeten wurde, Scotland Yard hinzuzuziehen, und seitdem kochte sie vor Wut. Macht und Einfluss- um nichts anderes ging es hier; und wenn sie geglaubt hatte, in ihrem Job gegen so etwas gefeit zu sein, dann war sie äußerst naiv gewesen.
Und was hatten die allmächtigen Herren von Scotland Yard bislang erreicht? Sie waren am Tatort herumstolziert, dann hatte der Superintendent sich davongestohlen, um zu telefonieren, während der Sergeant eine Mitarbeiterin der Spurensicherung angequatscht hatte. Selbst wenn sie dem Superintendent, der geschickt worden war, um Öl auf die Wogen zu gießen, von vornherein gnädig gesinnt gewesen wäre, hätte seine betont lässige Art sie gleich auf die Palme gebracht. So, wie er sich aufführte, hätte man denken können, er habe nichts Dringlicheres vor als einen Spaziergang im Park – und außerdem sah er besser aus, als die Polizei erlaubte. Maura misstraute generell gut aussehenden Männern, und die Kombination von attraktivem Äußerem und hohem Dienstgrad fand sie besonders bedrohlich.
Der Sergeant dagegen war gar nicht mal so übel, wenn er auch ein bisschen verschüchtert wirkte mit seinem bleichen englischen Teint und seiner Harry-Potter-Brille. Natürlich nicht ihr Typ – sie stand mehr auf große, muskulöse Männer; aber er wirkte einigermaßen freundlich und nicht allzu eingebildet.
Maura kramte in den Taschen ihres Mantels nach ihren Zigaretten. Sie hatte versucht, sich das Rauchen abzugewöhnen, aber jetzt war sowieso schon alles egal, dachte sie und verzog das Gesicht zu einem sarkastischen Lächeln. Jedenfalls würde sich niemand darüber beschweren können, dass ihre Haare
und Kleider nach Zigarettenrauch rochen – nicht, nachdem sie der verpesteten Luft in diesem Gebäude ausgesetzt gewesen war. Außerdem gab es da ohnehin keinen, der sich hätte beklagen können …
»Inspector Bell.« Es war der Sergeant, Cullen, gefolgt von einem hünenhaften Mann, der eine Schirmmütze und eine gelbe Sicherheitsweste trug. »Das ist Joe Spender, der Vorarbeiter.«
»Mr. Spender.« Hastig stopfte Maura die noch nicht angezündete Zigarette wieder in die Tasche und zwang sich, nicht vor Spenders massiger Gestalt zurückzuweichen. Er musste mindestens eins fünfundneunzig groß sein, mit einer gewaltigen Wampe, die ihm über den Gürtel hing, und einem hochroten Gesicht, das auf zu hohen Blutdruck hindeutete. »Was können Sie uns sagen?«
Während er sprach, schüttelte er unentwegt den Kopf, und sein Blick ging immer wieder zu dem zerstörten Lagerhaus. »Ich kann es immer noch nicht glauben. Genauso wenig wie heute Morgen, als Mr. Yarwood mich angerufen hat.« Sein East-End-Akzent war so breit und behäbig wie seine Figur. »Als wir gestern Feierabend gemacht haben, war alles noch tipptopp.«
Kincaid war inzwischen fertig mit Telefonieren und kam auf die Gruppe zu, blieb aber in einigen Schritten Entfernung stehen und hörte zunächst nur zu.
»Sie haben niemanden in dem Gebäude zurückgelassen?«, fragte Maura.
»Nein. Aber das war das Erste, woran ich gedacht habe, als ich davon hörte. Was, wenn einer meiner Männer seine Jacke oder sonst was vergessen hätte und noch mal reingegangen wäre? Aber ich hab’s gleich überprüft, und es fehlt keiner. Sowieso eine verrückte Idee, schließlich bin ich der Einzige, der einen Schlüssel hat.«
»Und Sie haben das Gebäude abgeschlossen, bevor Sie gingen?«
»Ja, was denn sonst?«, antwortete Spender heftig, aber Maura glaubte zu sehen, wie sein gerötetes Gesicht eine Spur bleicher wurde. »Ich schließe immer ab, erst die Seitentür und dann den Haupteingang. Und gestern war’s auch nicht anders.«
»Hat sonst noch jemand Zugang zu Ihrem Schlüssel?«, fragte der Superintendent. Als Spender ihn verdutzt ansah, stellte er sich vor: »Scotland Yard. Ich bin Superintendent Kincaid.«
Spender warf einen Blick auf seinen Dienstausweis und schüttelte Kincaids Hand eine Spur freudiger, als er es bei Maura getan hatte. »Nein, es sei
Weitere Kostenlose Bücher