Denn nie bist du allein - Crombie, D: Denn nie bist du allein - In a Dark House
Freitagnachmittag nichts allzu Dringendes zu erledigen, und da ihr Lunch normalerweise aus einem Sandwich aus der Kantine bestand, das sie mit ins Büro nahm, hatte sie auch kein allzu schlechtes Gewissen, wenn sie die Pause einmal etwas länger ausdehnte. Und so nervös und ruhelos, wie sie sich den ganzen Vormittag gefühlt hatte, war sie ganz froh, dass ihr Winnies Anruf die Gelegenheit verschafft hatte, sich ein wenig die Beine zu vertreten und die kühle, feuchte Luft einzuatmen, die vom Fluss herüberwehte.
Seit Winnie aus Somerset, wo sie ihren Pfarrbezirk hatte, nach London gekommen war, hatten sie und Duncan es nur ein einziges Mal geschafft, sich mit ihr zu treffen, und zwar an einem Wochenende, als Jack bei ihr zu Besuch gewesen war. Winnie und Jack waren nach Notting Hill gekommen, hatten pflichtschuldig das Haus bewundert und Gemma Gelegenheit gegeben, ihre durchaus noch ausbaufähigen Kochkünste und ihre noch ziemlich unentdeckten Talente als Gastgeberin zu testen. Gemma hatte nie sehr viel Zeit zum Kochen gehabt, und außerdem hatte es ihren bisherigen Wohnungen immer am nötigen Platz oder dem passenden Ambiente für erlesene Dinnerpartys gemangelt.
Es hatte an diesem Abend Momente gegeben, da hatte sie in die vom Kerzenschein erhellten Gesichter ihrer Gäste geblickt und war sich vorgekommen wie ein Kind, das in die Kleider seiner Eltern geschlüpft ist. Aber selbst wenn sie sich bisweilen wie eine Hochstaplerin in ihrem eigenen Haus gefühlt hatte, hatte es ihr doch Spaß gemacht, wie sie einigermaßen überrascht festgestellt hatte. Zwar bestand keine Gefahr, dass sie sich in eine zweite Stella Fairchild-Priestly verwandeln würde, die Königin aller Gastgeberinnen, aber vielleicht hatte ihr gesellschaftliches Leben ja inzwischen doch das Spaghetti-Bolognese-und-Lambrusco-Niveau hinter sich gelassen.
Natürlich hatten sie und Winnie sich zum Abschluss des Abends gegenseitig hoch und heilig versichert, dass sie sich bald mal wieder treffen würden, aber dann hatte ihr die Arbeit einen Strich durch die Rechnung gemacht, und sie nahm an, dass es Winnie ebenso ergangen war. Und das war wirklich schade, dachte sie nun, zumal ihr immer klarer wurde, wie sehr ihr eine gute Freundin und Vertraute fehlte, nachdem Hazel Cavendish nicht mehr da war.
Inzwischen hatte sie The Cut erreicht und wandte sich nach links. Ihr Weg führte sie zwischen dem Old Vic Theatre und einem Block mit Sozialwohnungen hindurch. Winnie hatte
vorgeschlagen, dass sie sich zu einem schnellen Lunch in einem Pub namens Hope and Anchor treffen sollten, das in der Nähe ihrer Kirche und ihrer derzeitigen Wohnung lag. Und dann, so hatte Winnie versprochen, würde sie erklären, warum sie Gemma angerufen hatte.
»The Cut« war eine ziemlich gewöhnliche Straße mit einem ungewöhnlichen Namen. Kleine Lebensmittelgeschäfte wechselten sich ab mit Cafés, Reinigungen und Zeitungsläden. Vor einem Wettbüro war der feuchte Gehsteig mit quadratischen Wettscheinen gepflastert, die wie Riesenkonfetti aussahen, und inmitten der Autoabgase glaubte Gemma einen leichten Rauchgeruch ausmachen zu können.
Gerade hatte sie den Namen des Pubs über einer unscheinbaren Ladenfront entdeckt, da erblickte sie auch schon Winnie, die vor dem Eingang stand und nach ihr Ausschau hielt. Winnie Montfort konnte vielleicht nicht im herkömmlichen Sinn als schön gelten, aber die meisten vergaßen das sofort wieder, sobald sie lächelte. Ihr freundliches Gesicht strahlte Ehrlichkeit und Humor aus, und sie besaß die Gabe, ihrem Gesprächspartner den Eindruck zu vermitteln, dass er ihre ungeteilte Aufmerksamkeit besaß. Heute war ihr weiches braunes Haar durch die feuchte Luft leicht gelockt, und der weiße Priesterkragen setzte einen auffallenden Akzent zu ihrem kirschroten Regenmantel.
Als sie Gemma auf sich zukommen sah, strahlte sie übers ganze Gesicht und begrüßte sie mit einer kurzen, aber herzlichen Umarmung. »Gemma, danke, dass du gekommen bist. Sie halten uns einen Tisch frei – ich habe gerade noch mal nachgeschaut.«
»Ist hier immer so viel los?«, fragte Gemma, als sie ihr in das Lokal folgte.
»Es ist dabei, sich einen Namen als ›Gastro-Pub‹ zu machen«, antwortete Winnie schmunzelnd. »Schrecklicher Ausdruck, nicht wahr? Da muss ich immer an irgendwelche unaussprechlichen
Beschwerden denken. Aber das Essen ist gut, und es ist quasi mein Stammlokal.«
Die Bar, mit schlichten Holztischen und einem Klavier in der Ecke, nahm die rechte
Weitere Kostenlose Bücher