Denn nie bist du allein - Crombie, D: Denn nie bist du allein - In a Dark House
unbelebten Natur in dieser Straße sind grüne Fensterläden, Mietzettel, messingene Türplatten und Glockenzüge; die Hauptarten der belebten sind der Küchenjunge, der Semmelbursche und der Kartoffelmann.
Charles Dickens, Die Pickwickier
Gemma und Winnie verließen das Pub, überquerten die viel befahrene Hauptstraße und bogen kurz darauf in die mit Recht so genannte Short Street ein. Winnie zeigte Gemma ihre Kirche, einen unscheinbaren, braunen Ziegelbau, der zu ihrer Linken parallel zur Straße verlief.
»Und das ist die Mitre Road.« Winnie deutete auf eine Straße mit adretten viktorianischen Reihenhäusern, die nach rechts abzweigte. »Meine Wohnung liegt ungefähr auf halbem Weg, im ersten Stock. Sie ist ganz nett – geradezu gemütlich, verglichen mit meinem zugigen Pfarrhaus daheim in Glastonbury. Ich lade euch beide bald mal zum Essen ein, das verspreche ich dir. – Und da ist auch schon Fannys Haus«, fügte sie hinzu, als die Short Street abrupt an der Einmündung zur Ufford Street endete. »Praktisch gleich um die Ecke von mir.«
Klein, aber fein – wie Puppenhäuser, dachte Gemma beim Betrachten der zweistöckigen Reihenhäuser, die die Ufford Street säumten. Selbst an diesem grauen Tag wirkten die Häuser fröhlich, mit ihren steilen, roten Ziegeldächern, weißen Giebeln und schmalen, glänzend schwarz lackierten Haustüren.
Ihr fiel auf, dass die meisten Fassaden mit Blumenampeln und bunt bemalten Keramiktafeln für die Hausnummern geschmückt waren. Ein schwarzes Eisengitter, das sich über die gesamte Länge der Straße erstreckte, trennte die winzigen Vorgärten vom Gehsteig. Ganz am Ende erblickte Gemma ein klotziges Lagerhaus aus grauem Backstein, über dem sich zu ihrer Überraschung im Hintergrund die beeindruckende Silhouette des Millennium Wheel erhob.
»Man vergisst leicht, wie nahe man hier an der Themse ist«, sagte Winnie, die Gemmas Blick gefolgt war, als sie die Straße überquerten. »Und dass sich hier in Southwark früher einmal alles um den Fluss und den Hafen gedreht hat. In den Kirchen werden bis auf den heutigen Tag Gedenkgottesdienste für die Opfer der Seefahrt gefeiert.« Sie öffnete eines der schmiedeeisernen Gartentore und führte Gemma zu dem überdachten Hauseingang. Eine Rollstuhlrampe überbrückte den kleinen Höhenunterschied zur Schwelle. Winnie klingelte, dann öffnete sie die Tür und rief: »Fanny? Ich bin’s, Winnie. Ich habe eine Freundin mitgebracht.«
»Oh, was für ein wunderbarer Duft«, rief Gemma, als sie Winnie in ein Wohnzimmer folgte, das so grün und blumig war, als hätte sich jemand einen blühenden englischen Garten ins Haus geholt.
»Gefällt er Ihnen?« Das kleine, ovale Gesicht der Frau, die mit ihrem Rollstuhl auf sie zugefahren kam, strahlte vor Freude. »Das ist eine von meinen Kerzen. Ich mache sie selbst, aus Sojawachs und ätherischen Ölen. Diese hier ist eine Mischung aus Bergamotte, Lavendel und Ylang-Ylang – soll beruhigend wirken.« Auf einem kleinen Tisch in der Ecke, in der sie gesessen hatte, brannte eine Kerze in einem grünen Glasbehälter. Daneben lag ein schnurloses Telefon.
»Fanny bestreitet den Wohltätigkeitsbasar der Kirche fast im Alleingang«, erklärte Winnie, nachdem sie Gemma vorgestellt hatte. »Ihre Kerzen sind der Renner. Es sind nicht nur die wundervollen
Düfte – sie benutzt auch alle möglichen originellen Dinge als Behälter. Teetassen, alte Glaskrüge, Blumentöpfe …«
»Praktisch alles, was mir in die Hände fällt«, erklärte Fanny. »Früher habe ich mich stundenlang auf Flohmärkten herumgetrieben; jetzt muss ich mit dem auskommen, was meine Freunde mir bringen. Elaine …« Ihre Stimme versagte, und sie brach mitten im Satz ab.
Winnie zog einen Stuhl für Gemma heran, bevor sie selbst auf dem Sofa Platz nahm. »Haben Sie von ihr gehört?«, fragte sie Fanny.
Bei näherem Hinsehen bemerkte Gemma, dass Fanny Liu erschöpft wirkte; ihre dunklen Augen waren rot gerändert, als ob sie geweint hätte.
»Nein.« Fanny schüttelte den Kopf. »Nichts. Ich habe noch mal in ihrem Büro angerufen – es hätte ja sein können …«
»Und Sie haben es auch auf ihrem Handy versucht?«, fragte Gemma.
»Sie hat keins. Eine unnötige Ausgabe, hat sie immer gesagt. Elaine hat schon immer jeden Penny zweimal umgedreht.« Fanny betrachtete Gemma eine Weile, den Kopf zur Seite geneigt. »Winnie sagte, Sie seien von der Polizei und könnten uns beraten. Aber irgendwie habe ich Sie mir anders
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