Denn nie bist du allein - Crombie, D: Denn nie bist du allein - In a Dark House
Fanny als kleines Mädchen, wie sie zwischen einem Mann und einer Frau mit asiatischen Zügen posierte; das Paar war gut gekleidet und blickte stolz, aber auch ein wenig steif und förmlich in die Kamera, als ob das Porträt zu einem feierlichen Anlass entstanden wäre. Fanny im Garten, wie sie fröhlich lachend mit einem Bordercollie spielte. Fanny allein, in Schwesterntracht und mit ernster Miene. Gemma berührte das Foto mit der Fingerspitze, dann ging sie hinaus und schloss die Tür hinter sich.
Im Bad sah sie sich etwas gründlicher um, diesmal auf der Suche nach Spuren von Elaine Holland. Die Hausapotheke enthielt Paracetamol, Heftpflaster, Wattestäbchen und eine Flasche rezeptfreien Hustensaft. Keine rezeptpflichtigen Medikamente, keine Haarbürste, keine Zahnbürste. Gemma runzelte die Stirn und versuchte es mit dem Wandschrank über der Toilette, doch sie fand nur Toilettenpapier, Tampons, ein paar Stücke gewöhnlicher Seife und eine Flasche Schaumbad aus dem Supermarkt.
Vielleicht bewahrte Elaine Holland ja ihre persönlichen Gegenstände in ihrem Zimmer auf, dachte Gemma. Sie ging auf
die dritte Tür zu und öffnete sie. Winnie hatte ihr beim Mittagessen erzählt, dass das Zimmer recht kahl sei, doch die Beschreibung hatte Gemma nicht ausreichend auf den trostlosen Anblick vorbereitet, der sich ihr nun bot.
Jeder Mensch – das war zumindest Gemmas Erfahrung – hatte das Bedürfnis, seiner Wohnung den Stempel der eigenen Persönlichkeit aufzudrücken; ein Bedürfnis, das sich unweigerlich meldete, sobald die Versorgung mit den unmittelbaren Notwendigkeiten wie Nahrung und Unterkunft gewährleistet Wände mit Bildern und bunten Bändern geschmückt waren – billiger Tand vom Flohmarkt, gewiss, aber dafür nicht minder heiß geliebt. Sie hatte beobachtet, wie Bewohner von Pflegeheimen ihre Zimmer mit persönlichen Erinnerungen angefüllt hatten. Und sie hatte es erlebt, dass selbst Obdachlose, die auf der Straße übernachteten, ihre wenigen Habseligkeiten ebenso eifersüchtig hüteten wie ihre Wolldecken, als ob diese Besitztümer es ihnen ermöglichten, einen Rest der Identität zu bewahren, die das Leben ihnen geraubt hatte.
Aber dieser Raum hatte ungefähr so viel persönlichen Charakter wie ein billiges Hotelzimmer, in dem man eine einzige Nacht geschlafen hatte – es war, als hätte Elaine Holland nach jedem einzelnen Tag der zwei Jahre, die sie in diesem Haus gelebt hatte, sämtliche Spuren ihrer Existenz sorgfältig ausgelöscht. Es gab keine Fotos, keine Bücher, keine Zeitschriften oder CDs, keine achtlos auf das Bett oder über den Stuhl geworfenen Kleidungsstücke. Gemma ging auf die Kommode zu und fuhr mit dem Finger über die Oberfläche – sie war nur mit einer hauchdünnen Staubschicht bedeckt.
Systematisch öffnete sie eine Schublade nach der anderen. Immerhin, die Frau trug wenigstens Unterwäsche, dachte sie schmunzelnd; allerdings war es nur Dutzendware – preiswerte Baumwollslips und BHs von Marks & Spencer. Eine Schublade enthielt einen Block billigen weißen Briefpapiers mit dazu
passenden Umschlägen, ein paar Briefmarken, Gummiringe sowie Kugelschreiber mit dem Logo des Krankenhauses, aber weder Rechnungen noch persönliche Papiere.
Als Nächstes wandte sie sich dem Kleiderschrank zu, mit ebenso bescheidenem Erfolg. Das eine oder andere Paar zweckmäßiger Schuhe, Hosen und Jacken in neutralen Farben, passend für die Arbeit, in derselben Größe, die auch Gemma trug. In einem Regalfach lagen säuberlich gefaltete Decken und Bettbezüge. Der Schrank war ziemlich tief, und einer spontanen Eingebung folgend nahm Gemma die Bettwäsche heraus, zog den Stuhl neben der Kommode heran und stieg darauf, um bis ganz hinten in das Fach hineingreifen zu können.
Ihre Finger schlossen sich um einen kleinen Pappkarton, den sie ans Licht zog. Als sie die bunten Farben sah, blieb ihr vor Überraschung der Mund offen stehen. Es war die Originalverpackung eines Orange-Handys, und sie war leer.
Elaine Holland hatte also im Gegensatz zu dem, was sie Fanny versichert hatte, doch ein Mobiltelefon besessen. Aber warum hatte sie gelogen?
Ganz erregt über ihren unerwarteten Fund stieg Gemma vom Stuhl und trat einen Schritt zurück, um den Schrank zu betrachten. Da musste noch mehr sein – sie war sich ganz sicher. Sogleich schob sie sämtliche Kleider an der Stange zur Seite – und wurde für ihre Gründlichkeit belohnt. In der Rückwand des Kleiderschranks befand sich eine niedrige Tür,
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