Denn nie bist du allein - Crombie, D: Denn nie bist du allein - In a Dark House
wären oben in ihrem Zimmer.«
Winnie sah Gemma an und schüttelte rasch den Kopf.
Gemma erwiderte den Blick ihrer Freundin, und plötzlich fand sie es gar nicht mehr so erstaunlich, dass Winnie sie angerufen hatte. Ihr Instinkt sagte ihr deutlich, dass hier irgendetwas nicht in Ordnung war. »Dann beschreiben Sie sie mir doch einfach mal, ja?«, schlug sie Fanny Liu vor.
»Nun, ich würde sagen, sie ist ungefähr in meinem Alter – so Mitte dreißig.« Fanny sah Winnie an, die ihre Schätzung mit einem Nicken bestätigte.
»Sie wissen es also nicht genau?«, fragte Gemma interessiert.
»Elaine hat nicht viel von Geburtstagsfeiern gehalten«, murmelte Fanny und vergrub die Hände im Fell des Katers, der nur ein wenig zuckte und die Augen zu Schlitzen verengte.
»Okay.« Gemma lächelte sie beruhigend an. »Und weiter?«
»Hm – sie ist eher groß. Heller Teint. Braunes Haar, ungefähr so lang« – Fanny hielt eine Hand auf die Höhe ihres Kinns – »und leicht gewellt. Hellbraune Augen.«
»Ich denke, das reicht für eine Vermisstenmeldung. Wir können gleich anrufen …«
Doch Fanny schüttelte den Kopf, die Augen ängstlich geweitet. »Ich habe Winnie schon gesagt, dass ich nichts Offizielles will. Ich möchte nicht …«
»Hören Sie, ich kann ja verstehen, dass Sie Ihre Mitbewohnerin nicht verärgern wollen«, versuchte Gemma die erregte Frau zu beschwichtigen. »Aber ich glaube, wir müssen uns ernste Sorgen um ihr Wohlergehen machen, und allein in Ms. Hollands Interesse sollten Sie ihr Verschwinden der Polizei melden. Wenn sie nun irgendwo krank oder verletzt liegt und Hilfe braucht? Wir rufen jetzt auf dem nächstgelegenen Revier an, und dann können Winnie und ich mit Ihnen hier warten, bis jemand vorbeikommt.«
»Das würden Sie tun?« Fanny klang überrascht, und Gemma
fragte sich, wie groß Elaine Hollands Hilfe tatsächlich gewesen war.
»Natürlich würden wir das tun«, versicherte Winnie ihr.
Fanny schloss einen Moment lang die Augen, die Hände immer noch auf dem Rücken des Katers. Dann seufzte sie, als sei sie zu einem Entschluss gekommen, und sah Gemma an. »Okay. Aber könnten Sie bitte anrufen?« Sie deutete mit einer Kopfbewegung auf das Telefon. »Ich … ich möchte nicht erklären müssen, warum ich nicht persönlich aufs Revier kommen kann.«
»Das ist schon in Ordnung. Das wird niemand von Ihnen verlangen«, sagte Gemma und tat Fanny gern den Gefallen. Sie wählte die Nummer des örtlichen Reviers, da sie nicht den Notruf blockieren wollte, und erklärte, wer sie war. Der Dienst habende Beamte erwiderte, er werde so bald wie möglich jemanden vorbeischicken; allerdings seien sie im Moment ein wenig unterbesetzt, da sie einen Großeinsatz wegen eines Feuers hätten.
»Die Hälfte unserer Leute sind zurzeit mit den Anwohnerbefragungen und der Tatortsicherung beschäftigt«, sagte er. »Es ist in der Southwark Street, nicht weit von der Adresse, die Sie genannt haben.«
Es war wirklich ganz in der Nähe, dachte Gemma, als sie auflegte und sich die Seite des Stadtplans ins Gedächtnis rief, die sie studiert hatte, bevor sie sich mit Winnie getroffen hatte. Sie könnte an der Haltestelle London Bridge Station anstatt in Waterloo in die U-Bahn steigen, wenn sie ins Büro zurückfuhr – dann würde ihr Weg sie direkt an der Southwark Street vorbeiführen. So könnte sie sich selbst ein Bild von der Situation machen und vielleicht ein paar Worte mit Duncan wechseln.
Doch zunächst hatte sie eine andere Idee. Als Winnie sich erbot, Kaffee für alle zu machen, meinte Gemma: »Ms. Liu, hätten Sie etwas dagegen, wenn ich mir einmal Elaine Hollands
Sachen anschaue? Vielleicht fällt mir ja irgendetwas auf, was Winnie heute Morgen übersehen hat.«
Fanny sah sie mit einem trüben Lächeln an. »Wenn ihr etwas zugestoßen ist, dann spielt es eh keine Rolle mehr, dass es ihr nicht gefallen würde. Und wenn sie wohlauf ist, wird sie so wütend auf mich sein, weil ich wegen ihr Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt habe, dass es dadurch auch nicht viel schlimmer werden kann. Also tun Sie sich keinen Zwang an.«
Gemma stieg die schmale Treppe hinauf und öffnete die erste Tür im Obergeschoss. Trockenblumen und Nippes ließen es unschwer als Fannys Zimmer erkennen, doch es hatte die kalte, trostlose Atmosphäre von Räumen, deren Bewohner verstorben sind. Auf einer mit reichen Schnitzereien verzierten Frisierkommode standen die Familienfotos, die Gemma im Wohnzimmer vermisst hatte –
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