Denn nie bist du allein - Crombie, D: Denn nie bist du allein - In a Dark House
Interesse an dem Baumeister wieder aufgelebt war, und während der Jahre ihrer Kindheit hatte ihr Vater fast jede Minute seiner Freizeit damit zugebracht, es in all seinen charakteristischen Einzelheiten liebevoll zu restaurieren. Und sie hatte ihm dabei geholfen; schon früh hatte sie sich mit Holzbearbeitung und elektrischem Werkzeug vertraut gemacht, hatte gelernt, Backsteinmauern zu verfugen und Glaserarbeiten auszuführen – alles Dinge, die ihr in der männlich dominierten Welt der Feuerwache gut zustatten gekommen waren. He, sieh dir das an! Das Blümchen kann doch tatsächlich mit einer Kettensäge umgehen! Wenn sie an den verblüfften Gesichtsausdruck ihres Gruppenführers zurückdachte, musste sie immer noch lächeln.
Eine Elster landete wenige Schritte vom Wagen entfernt auf dem Gartentor und betrachtete sie mit Spott in den funkelnden schwarzen Knopfaugen, als wüsste sie alles über sie. Rose hatte sich solche Mühe gegeben zu beweisen, dass sie dem Job gewachsen war, dass sie dazugehörte – hatte sie heute Morgen alles wieder zunichte gemacht? Was würde ihr Zugführer sagen, wenn er erfuhr, dass sie zum Ort des Brandes zurückgegangen war, außerhalb der Dienststunden und ohne sich vorher mit ihm abzusprechen? Charlie Wilcox war ein guter Chef, ein fairer Mann, der lieber lobte und aufmunterte als kritisierte, aber sie wurde das unangenehme Gefühl nicht los, dass sie irgendeine ungeschriebene Regel verletzt und sich blamiert hatte – sich und damit auch ihre gesamte Wache. Es gab nichts Schlimmeres als das. Mit einem lauten Flügelschlag flog die Elster davon, und Rose zuckte unwillkürlich zusammen.
Was war nur in sie gefahren? War es die Angst gewesen, etwas übersehen zu haben, einen Fehler gemacht zu haben, der irgendwann ans Licht kommen würde? In ihren drei Jahren bei
der Feuerwehr war sie bislang nur bei einem halben Dutzend Großbränden im Einsatz gewesen, und gestern Abend war eines der wenigen Male gewesen, dass sie an der Spritze gestanden hatte. An der Spritze zu stehen, ganz vorn am Schlauch, das war es, wofür jeder Feuerwehrmann und jede Feuerwehrfrau lebte – es war das Größte überhaupt, das einzig Wahre. Sie konnte immer noch das Hochgefühl spüren, das durch ihre Adern geströmt war, und in einem Moment völliger Klarheit wusste sie ganz genau, dass sie nichts falsch gemacht hatte; sie hatte einfach nur das getan, wozu sie ausgebildet worden war, und sie hatte noch nie im Leben so sehr das Gefühl gehabt, ganz mit sich im Einklang zu sein.
Aber wieso spielte ihr Verstand ihr dann immer und immer wieder diese Szene vor – die schwammige Konsistenz des Fleischs, das sie durch ihre Handschuhe ertastet hatte, der Anblick des verzerrten Gesichts mit den grotesk entblößten Zähnen? Sie hatte weiß Gott schon Schlimmeres gesehen – warum nur hatte sie das Gefühl, für diese Geschichte persönlich verantwortlich zu sein?
Sie musste es loslassen. Sie musste schlafen, sonst würde sie heute Nacht während ihrer Wache vollkommen unbrauchbar sein. Das konnte sie sich nicht leisten – besonders, wenn die Brandermittlung wieder aufkreuzte, um den Rest des Zugs zu befragen. Es würde unweigerlich herauskommen, dass sie an den Brandort zurückgegangen war; das ließ sich nicht verhindern. Sie würde den Anschiss von Wilcox und die Vorwürfe der anderen einstecken und die ganze Geschichte einfach vergessen müssen.
Nachdem sie diesen Entschluss gefasst hatte, blies sie sich ein paar verirrte Haarsträhnen aus dem Gesicht und stieg aus. Doch als sie die Tür des stillen Hauses aufsperrte und hineinging, schweiften ihre Gedanken unwillkürlich zum bevorstehenden Abend ab, und sie fragte sich, ob die Leute von der Brandermittlung wohl neue Informationen haben würden –
und ob der Superintendent von Scotland Yard auch dabei sein würde.
Da sie in Fannys Gegenwart nichts über ihre Entdeckungen sagen wollte, wartete Gemma, bis der Constable vom örtlichen Revier gekommen und wieder gegangen war, um dann vor der Tür des Pfarrbüros noch kurz mit Winnie zu sprechen.
Winnie schüttelte verwirrt den Kopf. »Warum hat sie sich so viel Mühe gegeben, die Sachen zu verstecken, wo sie doch wusste, dass Fanny nicht die Treppe hochgehen kann? Und warum überhaupt die Heimlichtuerei? Haben denn nicht die meisten unverheirateten Frauen ein bisschen sexy Unterwäsche im Schrank?«
»Wenn nicht, dann sollten sie sich jedenfalls welche besorgen«, erwiderte Gemma schmunzelnd. Für eine
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