Denn nie bist du allein - Crombie, D: Denn nie bist du allein - In a Dark House
relativ frisch verheiratete Frau konnte Winnie immer noch eine rührend unschuldige Aufrichtigkeit an den Tag legen. »Und das Telefon?«, fragte sie. »Glaubst du, dass Elaine befürchtet hat, Fanny würde sie ständig mit Anrufen nerven, wenn sie wüsste, dass sie sie auf dem Handy erreichen könnte?«
»Ich hatte eigentlich eher den Eindruck, dass Fanny sich immer bemüht hat, Elaine möglichst wenig zur Last zu fallen.« Sie zuckte mit den Achseln. »Aber vielleicht hat Elaine das anders gesehen. Da bin ich im Moment einfach überfragt. Hätten wir dem Constable von diesen Sachen erzählen sollen?«
»Ich glaube nicht, dass der Besitz eines Stapels leicht verruchter Unterwäsche und eines Mobiltelefons relevante Details für eine Personenfahndung sind«, meinte Gemma. »Sagst du mir Bescheid, falls sie noch auftaucht?«, fügte sie hinzu. »Und Fanny – denkst du, wir können sie allein lassen?«
»Ich schaue heute Abend noch mal bei ihr vorbei«, antwortete Winnie. »Vielen Dank für deine Hilfe.«
Nachdem sie sich zum Abschied kurz umarmt hatten, machte Gemma sich auf den Weg. Durch die Blackfriars Road
gelangte sie in die Union Street. Der Nieselregen hatte wieder eingesetzt – zu leicht, als dass man einen Schirm aufgespannt hätte, aber stark genug, um lästig zu sein. Sie klappte den Mantelkragen hoch und hielt ihn vorne mit einer Hand zusammen, um zu verhindern, dass ihr das Wasser aus den Haaren in den Nacken tropfte.
Einen Punkt, der ihr aufgefallen war, hatte sie Winnie gegenüber lieber nicht erwähnen wollen: Fanny Liu hatte mehrfach die Vergangenheitsform benutzt, wenn sie über ihre Mitbewohnerin gesprochen hatte, wenngleich sie sich ein paarmal korrigiert hatte. Wusste sie mehr über Elaine Hollands Verschwinden, als sie ihnen verraten hatte?
»Nun sei doch nicht immer gleich so argwöhnisch«, wies Gemma sich halblaut selbst zurecht, was ihr einen überraschten Blick von einem Passanten im Nadelstreifenanzug einbrachte. Die Frau saß schließlich im Rollstuhl, setzte Gemma ihre Überlegungen fort – undenkbar, dass sie etwas mit dem geheimnisvollen Verschwinden ihrer Mitbewohnerin zu tun hatte.
Und Gemma hatte weiß Gott selbst genug um die Ohren, von ihren aktuellen Fällen, die sich schließlich nicht von selbst lösten, bis hin zu Kits Anhörung am kommenden Montag; da musste sie sich nicht noch ein zusätzliches Problem aufhalsen. Sie hatte sowieso schon den halben Nachmittag verloren, und sie dachte an Melody Talbot, die sicher längst rotierte und kurz davor war, sie auf die Fahndungsliste zu setzen. Sie nahm das Handy aus der Tasche und meldete sich kurz bei Melody, um ihr zu erklären, dass ihr etwas dazwischengekommen sei und dass sie nun auf dem Weg zurück ins Revier sei.
Während sie über Fanny Liu nachgedacht und mit Melody telefoniert hatte, war sie immer weitergegangen, und inzwischen hatte sie die Southwark Bridge Road erreicht. Hier musste sie sich einen Augenblick lang orientieren, ehe sie sich nach Norden wandte, in Richtung Themse, und dann nach
rechts in die Southwark Street einbog. Fast im gleichen Moment erblickte sie in der Ferne die dicht an dicht geparkten Einsatzfahrzeuge, doch erst als sie sie fast erreicht hatte, konnte sie den Schauplatz des Feuers selbst sehen.
Ihr erster Impuls war ein Gefühl des Bedauerns, denn es war ein sehr schönes Gebäude gewesen, mit seiner ausgewogenen Symmetrie ein auffallendes Beispiel für die besten Seiten der viktorianischen Architektur. Wie konnte irgendjemand etwas so Harmonisches absichtlich zerstören? Doch während sie sich die Frage stellte, fiel ihr ein, dass Duncan von möglicher Brandstiftung gesprochen hatte. Vielleicht war es ja doch ein Unfall gewesen.
Die Löschfahrzeuge waren bereits abgezogen, doch der Versorgungswagen mit dem Generator stand noch vor dem Haus, und vor dem Hintergrund des grauen Himmels hoben sich die Fenster im Erdgeschoss ab, in denen das unnatürlich grelle Licht der Bogenlampen brannte. Verkohlter Schutt und Trümmerteile waren aus dem Gebäude auf den Gehsteig getürmt worden, und selbst aus der Entfernung schnürte ihr der Gestank die Kehle zu.
Vor dem Haus standen mehrere Streifenwagen und eine Hand voll Transporter, die nicht als Polizeifahrzeuge gekennzeichnet waren, aber dennoch irgendwie amtlich aussahen. Sie erkannte Doug Cullens leicht verbeulten Vauxhall Astra, der am Straßenrand parkte. Gerade wollte sie sich an einen der Polizisten wenden, die die Absperrung bewachten, um
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