Denn nie bist du allein - Crombie, D: Denn nie bist du allein - In a Dark House
jegliche persönlichen Gegenstände aufgefunden werden. Und es wird noch ein bisschen komplizierter. Besagtes Gebäude gehört nämlich rein zufällig einem unserer prominenteren Parlamentsabgeordneten, Michael Yarwood.«
»Yarwood?« Kincaid richtete sich überrascht in seinem Stuhl auf. »Ich wusste gar nicht, dass Yarwood unter die Bauunternehmer gegangen ist.« Yarwood, der nie ein Blatt vor den Mund nahm und für seine beißende Kritik bekannt war, stand weit links von der gemäßigten Linie der regierenden Labour Party und geißelte gerne öffentlich jeden, der kapitalistisch genug
war, einen Profit zu erwirtschaften. »Das dürfte ziemlich unangenehm für ihn werden, nehme ich an? Und für die Presse wird es ein gefundenes Fressen sein.«
»Das ist noch eine Untertreibung. Es wäre wohl zutreffender, von einer totalen Image-Katastrophe zu sprechen, insbesondere, da eine wichtige Nachwahl ansteht. Ganz zu schweigen von den Versicherungsgutachtern, die schon in den Trümmern herumschnüffeln und Bemerkungen über einen möglichen Versicherungsbetrug fallen lassen. Und auch aus einer anderen Ecke sind mir Gerüchte zu Ohren gekommen – einer meiner Golfpartner, der im Immobiliengeschäft ist, meinte, Yarwood habe weit weniger Interessenten für seine Apartments finden können, als er zu diesem Zeitpunkt bereits erwartet hatte.«
»Autsch.« Kincaid verzog das Gesicht. »Da hat er wohl einen ziemlich kostspieligen Klotz am Bein – oder vielmehr, er hatte ihn am Bein, bis letzte Nacht.«
»Würde er natürlich nie zugeben. Aber die Mächtigen im Lande sind offenbar so beunruhigt, dass der stellvertretende Polizeichef sogar schon einen Anruf aus der Downing Street Nr. 10 erhalten hat – mit der Bitte um einen Gefallen.«
»Und da komme ich dann ins Spiel?«, fragte Kincaid, dem allmählich ein Licht aufging.
»Angeblich wollen sie nur sichergehen, dass den Ermittlungen hohe Priorität eingeräumt wird …«
»Was im Klartext heißt, dass sie Yarwoods Interessen gut vertreten wissen wollen.« Kincaid wog die Aussicht, einen politisch so heiklen Fall zu übernehmen, gegen die einer Rückkehr zu seinen Leistungsbeurteilungen ab. Durchaus möglich, dass er sich bei dem Job die Finger verbrennen würde, sowohl im wörtlichen als auch im übertragenen Sinn. Er konnte selbstgef ällige Politiker nicht ausstehen, und Orte, an denen es gebrannt hatte, waren ihm schon immer ein bisschen unheimlich gewesen.
»Sie können selbstverständlich ablehnen«, sagte Childs mit jener trügerischen Großzügigkeit, die Kincaid so gut kannte. Childs wollte, dass er die Ermittlungen übernahm, das war klar; aber er wusste auch, dass Kincaid ein paar Bonuspunkte beim stellvertretenden Polizeichef gut gebrauchen konnte.
»Ist die Leiche noch am Tatort?«, fragte Kincaid.
Childs gestattete sich wieder ein klitzekleines Lächeln. »Ich habe ihnen gesagt, dass sie auf Sie warten sollen.«
2
»Aber er mag mich hier in meinem Gefängnis ansehen. Ich leide, ohne zu murren, weil es bestimmt ist, dass ich so meine Sünden sühnen soll.«
Charles Dickens, Klein Dorrit
Reverend Winifred Catesby Montfort fand es schwieriger als erwartet, sich an das Leben in London zu gewöhnen. Nach einigen Jahren in ihrer beschaulichen kleinen Kirche vor den Toren von Glastonbury schien ihr Südlondon mit seinem Beton und seinem Schmutz wie eine Wüstenlandschaft, zumal für eine Seele, die sich nach dem sanften Grün der Somerset Levels sehnte.
Aber ihr Exil war ja nur von begrenzter Dauer, wie sie sich wohl zum hundertsten Mal sagte, als sie mit schwindender Hoffnung in den fremden Schränken der Pfarrwohnung von St. Peter nach etwas Essbarem für ihr Mittagsmahl stöberte. Und sie rief sich auch ins Gedächtnis, dass sie dieses Exil selbst gewollt hatte und somit gar keinen Grund zur Klage hatte. Als das Asthma ihrer alten Freundin und Mentorin aus dem Theologischen Seminar, Roberta Smith, so schlimm geworden war, dass ihre Ärztin ihr verordnet hatte, die Stadt für einige Monate zu verlassen, hatte Winnie vorgeschlagen, dass sie für eine Weile die Pfarrbezirke tauschten.
Zu dem Zeitpunkt war es ihr als die einzig richtige Entscheidung erschienen; so, als ob Gott ihr eine offensichtliche Gelegenheit eröffnet hätte, die sie einfach nicht ausschlagen
konnte; aber inzwischen fragte sie sich, ob es nicht bloß ihr Ego gewesen war, das sich auf die Chance gestürzt hatte, als Samariterin aufzutreten – Sankt Winnie, die Retterin
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