Denn nie bist du allein - Crombie, D: Denn nie bist du allein - In a Dark House
in der Not. Und so hatte sie ihren Mann – mit dem sie noch kein Jahr verheiratet war – ebenso zurückgelassen wie alle anderen im Haus und in ihrer Gemeinde, die auf sie angewiesen waren, um sich dem Dienst an jenen zu widmen, die sie für die armen, geknechteten Massen hielt. Stattdessen hatte sie eine relativ wohlhabende und mehr oder weniger gleichgültige Gemeinde vorgefunden, die gleiche Abfolge bürokratischer Termine, die sie gerade hinter sich gelassen hatte, und dazu Anfälle von Heimweh und Sehnsucht nach Jack, die sie quälten wie ein Phantomschmerz.
Nun, es blieb ihr nichts anderes übrig, als die Suppe auszulöffeln, die sie sich eingebrockt hatte, schalt sie sich, während sie eine Dose Thunfisch aus dem hintersten Winkel des Küchenschranks hervorkramte und einen kritischen Blick auf das Haltbarkeitsdatum warf. Ein Zuviel an Selbsterforschung war ebenso egozentrisch wie unergiebig – und ihre neue Lage hatte schließlich auch ihre guten Seiten.
Die Pfarrwohnung in der Mitre Road, gegenüber der St. Peter’s Church, war klein und gemütlich, voll gestopft mit bunten Wandteppichen und Kunstgegenständen, die Roberta auf ihren Afrika- und Asienreisen gesammelt hatte. Die Southwark Cathedral war nur einen Katzensprung entfernt, und Winnie fand es ebenso faszinierend wie bewegend, fast täglich am Leben der großen Kathedrale teilzuhaben.
Dann gab es den Borough Market, dessen Buden sich an die Flanke der Kathedrale schmiegten und der mit seinem bunten, lebhaften Treiben eine unerschöpfliche Quelle kulinarischer und anderer sinnlicher Freuden war. Wann immer Jack das Wochenende in London verbringen konnte, führte ihr erster Weg sie zum Markt.
Und inzwischen hatte sie ja auch Verwandtschaft in London
– Jacks Cousin Duncan und dessen Lebensgefährtin Gemma mit ihren beiden Jungen. Wobei Winnie mit dem Eifer der frisch Vermählten immer noch hoffte, die beiden dazu ermutigen zu können, den gleichen Schritt zu wagen. Sie wusste natürlich um die Gefahren einer solchen Einmischung, aber sie wusste auch, dass manchmal ein offenes Ohr und der eine oder andere dezente Wink genügten, um die Dinge in Bewegung zu setzen.
Und schließlich waren da die Menschen in ihrer Gemeinde, die sie allmählich immer besser kennen lernte und ins Herz zu schließen begann. Eine, die es ihr besonders angetan hatte, war ihre Nachbarin Frances Liu, eine Frau in Winnies Alter, die vor einigen Jahren an dem rätselhaften, den ganzen Organismus schwächenden Guillain-Barré-Syndrom erkrankt war. Da Fanny bereits teilweise gelähmt und somit ans Haus gefesselt war, hatte Winnie es sich rasch zur Gewohnheit gemacht, so oft es ging, nach der Arbeit bei ihr vorbeizuschauen und ihr sonntags die Kommunion zu bringen.
Bei den letztgenannten Gelegenheiten spürte Winnie die Ablehnung von Fannys Mitbewohnerin Elaine, doch sie hatte noch nicht herausgefunden, ob die Feindseligkeit der Frau persönliche oder weltanschauliche Gründe hatte. Auch war sie noch nicht dahinter gekommen, welcher Art die Beziehung zwischen den beiden Frauen genau war; sie spürte lediglich, dass Elaine ihre Anwesenheit als Bedrohung empfand und dass sie deshalb sehr behutsam vorgehen musste. Auf keinen Fall wollte Winnie Fanny das Leben noch schwerer machen, als es für sie ohnehin schon war. Wenn sie nur mehr über Elaine wüsste, wäre sie vielleicht in der Lage, sie zum Reden zu bringen – und dann war da noch Elaines ungewöhnliche Ausstrahlung, die natürlicherweise Winnies Neugier weckte.
Nachdem sie den Entschluss gefasst hatte, bei ihrer nächsten Begegnung mit den beiden Frauen ein wenig hartnäckiger zu sein, aß Winnie ihr Thunfischsandwich auf und machte sich an
den Abwasch. Sie hatte gerade den Teller und die Tasse abgetrocknet, als das Telefon in der Pfarrwohnung klingelte.
»Ich habe gerade an Sie gedacht«, sagte sie, als sie Fanny Lius Stimme hörte. »Ich dachte mir, ich schaue nach der Arbeit mal rein …«
»Winnie, könnten Sie nicht gleich kommen?« Fanny klang erregt und außer Atem.
Besorgt runzelte Winnie die Stirn. »Ist alles in Ordnung bei Ihnen?«
»Ich – es ist wegen Elaine. Sie war heute Morgen nicht hier, und als ich im Krankenhaus anrief, hieß es, sie sei gar nicht zur Arbeit erschienen.«
»Sie meinen, sie war überhaupt nicht in der Wohnung?«, fragte Winnie erstaunt. »Vielleicht ist sie ja nur spazieren gegangen …«
»In aller Herrgottsfrühe, bei diesem Hundewetter – und das, wo sie sonst nie spazieren
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