Denn niemand hört dein Rufen
Haftstrafe musste ihn in Angst und Schrecken versetzen, doch äußerlich wirkte er ruhig und gefasst. Mit seinen zweiundvierzig Jahren gehörte er zu den führenden Theateragenten. Er war bekannt für seine Schlagfertigkeit und seinen Charme, und so war es nicht schwer, nachzuvollziehen, weshalb sich Natalie Raines in ihn verliebt hatte. Emily wusste, dass er eine vierzehnjährige Tochter aus erster Ehe hatte, die mit ihm in New York lebte. Die Mutter des Mädchens war jung gestorben, und ihre Nachforschungen hatten ergeben, dass er gehofft und erwartet hatte, Natalie würde ihr eine zweite Mutter sein. Laut Natalies Freundinnen war das einer der Gründe für das Scheitern der Ehe gewesen. Selbst sie hatten eingeräumt, dass für Natalie einfach nichts auf der Welt wichtiger war als ihre Karriere.
Sie werden gute Zeuginnen abgeben, dachte Emily. Sie werden den Geschworenen vor Augen führen, wie wütend und frustriert Aldrich war, bevor er ausrastete und sie tötete.
Jimmy Easton. Mit ihm stand oder fiel die Anklage. Glücklicherweise gab es einige Bestätigungen für seine Aussage. Mehrere glaubwürdige Zeugen sollten aufgerufen
werden, um auszusagen, dass sie ihn zwei Wochen vor dem Mord an Natalie Raines zusammen mit Aldrich in einer Bar gesehen hatten. Und was noch besser war, Easton hatte das Wohnzimmer von Aldrichs New Yorker Wohnung sehr genau beschrieben. Mal sehen, wie Moore um diese Sache herumkommen will, beruhigte sich Emily noch einmal.
Doch auf jeden Fall lag noch ein weiter und steiniger Weg vor ihr bis zu einem Schuldspruch. Der Richter hatte sich an die Geschworenen gewandt und sie darüber aufgeklärt, dass der Fall eine Mordanklage beinhalte und der Prozess einschließlich der Auswahl der Geschworenen und der abschließenden Beratungen vermutlich vier Wochen dauern werde.
Emily drehte sich halb um. Mehrere Reporter saßen in der ersten Reihe, und sie hatte bemerkt, dass Fernsehkameras und Fotografen Aldrich und seine Anwälte beim Betreten des Gerichtsgebäudes aufgenommen hatten. Außerdem wusste sie, dass der Gerichtssaal gesteckt voll sein würde, wenn die Geschworenen erst ausgewählt waren und sie und Moore mit ihren Eingangsplädoyers begannen. Der Richter hatte angeordnet, dass der Prozess im Fernsehen gezeigt werden könnte, und Michael Gordon, der Moderator der Kabelfernsehsendung Vor Gericht , wollte darüber berichten.
Sie schluckte, weil sich ihre Kehle plötzlich trocken anfühlte. Sie hatte schon mehr als zwanzig Schwurgerichtsverfahren hinter sich, und die meisten hatte sie gewonnen, doch dies war bei weitem der hochkarätigste Fall, mit dem sie je zu tun hatte. Wieder ermahnte sie sich: Dies wird kein Selbstläufer.
Die erste potenzielle Geschworene, eine großmütterliche
Dame Ende sechzig, stand gerade an der Richterbank. Ohne dass die übrigen Geschworenen zuhören konnten, fragte der Richter sie, ob sie sich eine Meinung über den Angeklagten gebildet habe.
»Nun, Euer Ehren, wenn Sie mich so fragen, und da ich ein ehrlicher Mensch bin – ich bin felsenfest davon überzeugt, dass er schuldig ist.«
Moore musste erst gar nichts sagen. Richter Stevens kam ihm zuvor. Höflich, aber bestimmt erklärte er der offensichtlich enttäuschten Dame, sie könne nach Hause gehen.
13
D ie öde Prozedur, die Geschworenen auszuwählen und zu vereidigen, nahm drei Tage in Anspruch. Am vierten Tag, um neun Uhr in der Früh, waren dann endlich alle, der Richter, die Geschworenen, die Anwälte und der Angeklagte, versammelt. Richter Stevens erklärte den Geschworenen, dass die Anwälte beider Parteien jetzt ihre Eröffnungsplädoyers halten würden. Er gab ihnen allgemeine Anweisungen und erläuterte, dass die Anklage den Anfang machen werde, nachdem ihr die Beweislast zufalle.
Tief Luft holend, erhob sich Emily von ihrem Stuhl und ging zur Geschworenenbank. »Guten Morgen, meine Damen und Herren. Wie Ihnen Richter Stevens bereits gesagt hat, ist mein Name Emily Wallace, und ich bin Assistenzstaatsanwältin im Büro des Staatsanwalts von Bergen County. Mir wurde der Auftrag erteilt, Ihnen zu Ihrer Begutachtung und Beurteilung die Beweise vorzulegen, die der Staat in der Sache gegen Gregg Aldrich gesammelt hat. Wie Ihnen Richter Stevens ebenfalls mitgeteilt hat, gehört das, was ich jetzt sagen werde und was Mr Moore in seinem Eröffnungsplädoyer sagen wird, nicht zur Beweisaufnahme. Dazu werden Sie die Zeugen hören, die hier aussagen werden, und die Beweisstücke würdigen, die wir
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